Dass die 100 etwas Besonderes ist, liegt an unserem Zahlensystem, das wir uns an zehn Fingern abzählen können. Sonst würden wir vielleicht nicht bei 25, sondern bei 24 silberne Hochzeit und 144-jährige Jubiläen feiern. Das biblische Alter von 144 wäre allerdings kaum zu erreichen. Moses soll 120 Jahre alt geworden sein, zehn mal zwölf.
Computer-Experten mahnen uns, nicht unser Geburtsdatum oder das unserer Kinder für Passwörter oder Zahlencodes zu verwenden. Denn nicht nur, weil es Geschenke verheißt (oder anstrengende Kindergeburtstage veranlasst), haben wir zu diesen Daten eine besondere Beziehung. Als Kind war ich geradezu besessen von der 9 — denn ich wurde am 9. September geboren. Wäre ich am 13.7. auf die Welt gekommen, hätte ich mich womöglich mit Primzahlen beschäftigt, diesen ganz besonderen Exemplaren aus der natürlichen Zahlenreihe.
Der Biografiearbeiter Konrad Lappe (hier ein Podcast über seine Arbeit) erzählte in einer Rund-E-Mail davon, dass er sich im Grundschulalter Lottozahlen einprägte, um den Lottoschein für seine Mutter ausfüllen zu können. In der Zahlenfolge seien Hausnummern und Geburtstage der Familie enthalten, die er sich bis heute gemerkt hat. Als biografische Fixpunkte. (Das war die Anregung zu dieser Schreibidee.)
Ja auch das: Hausnummern. Nicht nur die Straßennamen, auch die Hausnummern meiner bisherigen Wohnorte besitzen für mich einen besonderen Klang. Welche Zahlen sind für dich besonders wichtig? Aus welchem Grund?
Schreibidee #101: Finde sechs »biografische Lottozahlen« und schreibe zu jeder eine kurze Erklärung.
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Eine Antwort zu “#101 — Zahlenbiografie”
Ich spiele tatsächlich Lotto. Bis jetzt ohne großen Erfolg. Mein höchster Gewinn betrug, glaube ich, 38,00 €. Aber man weiß ja nie …
Die Zahlen, die ich spiele, sind die ganze Zeit dieselben: 4, 11, 13, 21, 22, 26. Es sind die Nummern von Häusern, in denen ich einmal gewohnt habe.
In der Colmarstraße 4 wohnte ich während meines Studiums. Es war meine erste „eigene“ Wohnung. Ein kleines Ein-Zimmer-Appartement im Erdgeschoss eines acht- oder zehngeschossigen Hauses, genau weiß ich es nicht mehr. Das Haus lag, nur durch eine kleine Straße getrennt, direkt neben den Bahngleisen. Hier fuhren nicht nur die in den Bahnhof einfahrenden Personenzüge, hier wurden auch die Güterzüge rangiert.
Zu Anfang schlief ich keine Nacht durch. Die Zugbewegungen ließen die Fensterscheiben klirren, die Deckenlampe vibrieren und die Gläser im Schrank erzittern. Aber irgendwann hörte ich das nicht mehr. Auch die Züge nahm ich nicht mehr bewusst wahr. Ging jedoch ein Passant an meinem Fenster vorbei und hustete oder nieste, saß ich senkrecht im Bett.
An der Goldgrube 11 besuchte ich nach der Volksschule die Pflegevorschule. Die Schülerinnen waren in einem Haus untergebracht, in dem immer zwei Mädchen ein Zimmer bewohnten. In dieser Schule machten wir die Soziale Mittlere Reife. Danach gingen die meisten von uns in die Krankenpflegeschule. Neben dem schulischen Unterricht arbeiteten wir auch im Krankenhaus. Die Schule wurde von einer Ordensschwester geleitet.
Da wir alle junge Mädchen waren, noch lange nicht volljährig, standen wir unter der besonderer Aufsicht der Schwester. Sie achtete auf unseren Umgang und unser Benehmen. Und sie kontrollierte unsere finanziellen Ausgaben. Wir bekamen alle ein Taschengeld. Darüber mussten wir Rechenschaft ablegen. Zu diesem Zwecke hatten wir jede ein Vokabelheft im DIN-A-6-Format. Mit Stift und Lineal trugen wir dort drei Spalten ein, für das Datum, die eigentliche Ausgabe und den Betrag. Am Ende des Monats legten wir dieses Heft der Schwester vor. Sie schaute sich alles genau an und lobte unsere Sparsamkeit oder tadelte unsere „unnötigen“ Ausgaben.
Am Schlosspark 13 wohnte ich eine kurze Weile bei meiner Tante, ihrem Mann und ihrer erwachsenen Tochter. Ich muss so sechs Jahre alt gewesen sein. Samstags war bei ihnen immer Badetag. Der Onkel trug eine große Zinkbadewanne in das kleine Wohnzimmer. In Töpfen trugen dann Tante und Onkel zunächst heißes Wasser vom Herd herein. Dann wurde in Eimern kaltes Wasser nachgegossen, bis die richtige Badetemperatur erreicht war. Zunächst stiegen meine Cousine und ich in die Wanne. Später folgten dann Onkel und Tante. Das Badewasser wurde bei Bedarf wieder durch einen Topf heißes Wasser erwärmt. Im Wohnzimmer stand auch ein Fernseher, der während des Bades lief. Ich saß mit dem Rücken zu dem Bild und konnte nur den Text hören.
Die Wohnung in der Kerschensteinerstraße 21 war eine Art Wohngemeinschaft. Hier teilten sich die Frauen, die das Kettelerkolleg besuchten, die Zimmer. Es gab zwei Einzelzimmer und zwei Doppelzimmer. Wenn man neu aufs Kolleg ging, kam man in ein Doppelzimmer, kurz vor dem Abitur dann ein Einzelzimmer.
In der Wohnung gab es keine Waschmaschine. Wie also die Wäsche waschen? Ich hatte einen großen Einmachtopf in meinem Besitz, in dem aber nie eingekocht wurde. In ihm wusch ich meine Wäsche. Zunächst wurde die Kochwäsche mit einem speziellen Waschpulver eingeweicht. Nach einer Weile rubbelte ich sie zwischen meinen Händen, damit eventuelle Flecken entfernt werden konnten. Dann kam der Topf auf den Herd, und das Wasser wurde zum Kochen gebracht. Zwischendrin rührte ich immer mit einem Kochlöffel die Wäsche um. Nach Gefühl ließ ich die Wäsche kochen. Mit dem Kochlöffel hob ich die Wäsche aus dem Topf in ein kleines Büttchen und trug dieses in die Badewanne. Ich spülte sie mit kaltem Wasser, bis alles Waschpulver heraus war, und hängte die Wäsche zum Trocknen auf einen Ständer.
Mit dem Kochtopf bin ich auch noch in meine nächste Wohnung gezogen, denn auch dort gab es keine Waschmaschine. Das Zeitalter der Waschmaschine begann erst später.
In der Mainzer Straße 21 wurde ich geboren. Die Wohnung bestand aus zwei Räumen und einer Toilette. Sie lag im Hinterhaus eines Gebäudekomplexes. In dem einen Zimmer schlief die ganze Familie. Das andere Zimmer war Küche, Esszimmer und Wohnzimmer zugleich. Im Vorderhaus gab es eine Bäckerei. Der Duft von Brot und Kuchen zog über den Hof bis in unsere Wohnung.
Im Schlafzimmer stand neben dem Doppelbett der Eltern ein großer Schrank. Waren wir allein, machten wir uns ein Vergnügen daraus, von diesem Schrank in das Doppelbett zu springen. Zuerst kletterte mein großer Bruder auf den Schrank, er half meiner Schwester und mir hinaufzukommen. Nacheinander hüpften wir ins Bett. Das war ein großer Spaß. Nur die Eltern, die durften es nicht wissen.
Binger Pforte 26. Hier lebte ich etwa ab meinem achten Lebensjahr. In diese Jahre fällt meine Arbeit in den Weinbergen. Neben den Erwachsenen, die im Weinberg arbeiteten, besserten wir Kinder unser Taschengeld durch das Helfen bei der Weinlese auf.
Wenn Lesezeit war, hieß es morgens früh aufstehen und sich der Witterung entsprechend anziehen. Dann ging es zum Winzer. Wir stiegen alle auf den Anhänger und fuhren mit dem Traktor in den Wingert. Dort nahmen wir die Schere und ein Büttchen in Empfang, und los ging. Sorgsam wurde die Traube in die linke Hand genommen, mit der rechten abgeschnitten und in das Büttchen gelegt. Ich erinnere mich an Tage, da musste ich die Schere mit beiden Händen halten. Meine Finger waren steif gefroren, und ich konnte die Schere nicht mit den Fingern einer Hand zudrücken.
War das Büttchen voll, gab man den Erwachsenen ein Zeichen. Sie kamen mit der Tragebütte auf dem Rücken in die Zeile, gingen in die Hocke, und wir lehrten unser Büttchen hinein. Die Tragebütten wurden dann in den Anhänger geleert.
Die Arbeit war anstrengend, der Rücken tat weh und so freuten wir uns immer auf die Frühstückspause. In ihr gab es dick belegte Wurstbrote und Most. Bei Regen saßen wir oft unter dem Anhänger, um nicht ganz zu durchnässen.