Von den eigenen Eltern ist in vielen autobiografischen Texten die Rede, weniger wird von den eigenen Kindern geschrieben. Dabei prägen diese das Leben mindestens ebenso. Vielleicht liegt es daran, dass das Leben mit Kindern in den männlich geprägten Klassikern der Autobiografie keine wichtige Rolle spielt. Oder dass man denkt, sie werden selbst für sich schreiben können, irgendwann.
In ihrem Gedicht “Spelling Bee” beschreibt die Lyrikerin Faith Shearin das Lebensgefühl, Vater oder Muter zu sein, anhand eines besonderen Moments. Ihre Tochter nimmt an einem Buchstabierwettbewerb teil, das “Ich” des Gedichts sitzt im Publikum. Das Original kann man auf dieser Website nachlesen, hier meine Übersetzung:
Buchstabierwettbewerb Beim Wettbewerb trug meine Tochter ein hübsches braunes Kleid und hielt die Hände gefaltet. Zwölf Kinder sprachen in ein Mikrofon, dass größer war als sie. Jedes Mal, wenn sie dran war, konnte ich kaum hinsehen. Nicht weil ich wollte dass sie gewinnt, ich hoffte nur, sie würde mit sich zufrieden sein. Die Wörter waren zu schwer für mich; Ich hätte Charisma verpatzt, Thermoskanne und Karosserie. Jedes Mal, wenn sie eines richtig buchstabierte, wurde aus meinem Herzen ein Vogel. Einmal war sie es, die so rastlos unter meiner Haut flatterte, und als sie kam hielt sie nichts in ihrer kleinen roten Hand. Ihr Leben war eine Überraschung seither: sie kann nähen; sie kann zeichnen; sie kann lesen. Sie hasst Rosinen und liebt Sachkunde. Alle Eltern werden es wohl so empfinden, während sie zusehen von den billigen Klappstühlen aus. Irgendwo in ihnen fand Liebe eine Form und jetzt steht sie am Mikrofon und buchstabiert.
Wie fühlte es sich für dich an, Mutter oder Vater zu werden? Wie ist es, ein Kind aufwachsen zu sehen? Über das eigene Leben hinauswachsend? Ist es schwer, sie loszulassen? Gibt es einen besonderen Moment, in dem dir das klar wurde?
Schreibidee #109: Beschreibe einen Moment, in der dir klar wurde, was es bedeutet, Vater/Mutter zu sein.
[Wie immer fände ich es schön, wenn du deinen Text zu dieser Schreibidee unten in die Kommentarbox kopieren und hochladen würdest. Damit gibst du zugleich dein Einverständnis für die Veröffentlichung auf diesen Internetseiten. Gerne kannst du dafür auch ein Pseudonym oder nur deinen Vornamen angeben.]
5 Antworten zu “#109 — Elternschaft”
Hallo meine Süße
Hallo meine Süße, wie geht es dir?
Wie fühlst du dich hier mit mir,
Auf meinem Bauch liegend, nackt.
So nackt wie ich.
Es ist schön dich zu spüren, zu halten, zu streicheln,
Dir in deine großen blauen Augen zu sehen.
Mit dir zu schaukeln ist einfach himmlisch.
Du und ich in der Hängematte,
Warmer Wind wiegt uns und legt sich um unsere Haut.
Ich spüre deinen Atem.
Dein winziger Babybauch schmiegt sich an meinen.
Bei jedem Einatmen drücken wir unsere Bauchnabel aneinander.
Bei jedem Ausatmen öffnet sich Raum zwischen uns beiden,
Durch den die Tropensonne einen feinen Lichtstrahl schickt.
Er breitet sich leuchtend in unserem Netz aus und hält uns zusammen.
Du und ich schwingen in Wärme und Geborgenheit.
Dein Atem wird mein Atem: ein … aus … Nabel … Raum … Nabel … Licht …
Dreh- und Angelpunkt bedingungsloser Liebe.
Wir baumeln verbunden.
Jetzt lachst du. Lachst mich an. Lachst dem Leben entgegen.
Du bist ansteckend.
Dein Lachen vibriert durch meinen Körper,
Wie winzige Schluck-Aufs hüpft es durch mein Blut.
Fühlst du mein Herz? Es ist deinem ganz nah.
Hätte es einen Bauchnabel, wir beide würden die Schnur spüren,
Die Lebensverbindung, die mich hin und dich her pulsiert.
Merkst du wie es kitzelt, da, dort, hier in deiner winzigen Brust?
Hier fühl’ mal. Komm‘ ganz nah mit deinem Köpfchen an unser Herz
Und leg‘ dein Ohr genau hier hin. Ja hier. Hörst du?
Das ist das Kitzeln und Kribbeln, von dem ich spreche.
Geheimnisvoll, nicht wahr?
Du wirst ganz ruhig, schließt deine Augen,
Dein winziges Gesicht versinkt in meiner Brust.
Ich küsse dein Haar, meine Lippen salzig, Meer liegt in neu geborener Luft.
Ich schmecke deine süße Unschuld, zart wie Frangipani-Duft.
Wir schaukeln, wir atmen und beginnen zu träumen.
Warm webt der Passatwind uns ineinander
Dich in mich und mich in dich.
Wir schmelzen in mangofarbenen Nachmittag.
Ein atmendes Wesen, Mutter und Kind.
Ein Atemzug Du – ein Atemzug ich.
Ein Atemzug sein – ein Atemzug werden.
Du bleibst süßes Wunder.
Liebe M.T.,
vielen Dank für diesen Text, der mich wieder ganz zu den innigen Momenten zurückführt, als meine Töchter noch in eine Hand passten.
Liebe M. T., ein ganz zauberhafter, poetischer, liebevoller, wundervoller Text. Was für eine Liebeserklärung an deine Tochter, an das Leben, an den Augenblick, an die Liebe.
LG Nora Hille 🥰❤️
Der Moment, als mir klar wurde, was es für mich bedeutet, Mutter zu sein, ereignete sich beim Autofahren. Ich war allein unterwegs. Plötzlich hatte ich genau diese Worte im Kopf:
“Die Verantwortung für meine Kinder und die Liebe zu ihnen wurzeln zutiefst in meiner Seele. Daraus erwächst eine Kraft, die stärker ist, als es die bipolare Erkrankung jemals sein könnte.”
Diese Worte haben mich zutiefst glücklich gemacht und Eingang
in mein Buch gefunden, das meinen Umgang mit der bipolaren Erkrankung beschreibt und 2023 im Herbst erscheinen wird unter dem Titel “Wenn Licht die Finsternis besiegt”.
Herzlichen Dank an Dich, lieber Stefan, für diese wundervolle Schreibidee.
Liebe Grüße von Nora
Gerne!