Was einem leicht von den Lippen geht, trifft oft nicht den Kern der Sache. Darum lohnt es sich, bewusst die Dinge ins Auge zu fassen, die (im Leben) schwer zu erklären sind. Wie man zur einen oder anderen Frage steht, weshalb sich jener Mensch wohl so verhalten haben mag, warum es einem schwerfiel, zu tun, was sich so leicht denken ließ.
Beim autobiografischen Schreiben geht es nicht zuletzt darum, die richtigen Worte zu finden. Weil die eigenen Erfahrungen in ihren Nuancen und Abschattierungen einzigartig sind, liegen diese nicht immer bereit. Manchmal musst du neue Bilder finden oder neue Kombinationen vorhandener Bilder und Wörter. Nur so kannst du hoffen, dich wirklich verständlich zu machen.
Nicht in schon vorhandenen Sprachfiguren (Klischees) zu sprechen, ist manchmal anstrengend und trägt das Risiko in sich, missverstanden zu werden. Doch wenn es gelingt, und ein Teil deines Lebens auf diese Weise verständlicher wird, ist das eine zutiefst befriedigende, verbindende Erfahrung. Darum lohnt sich die Suche nach dem treffenden Wort — darum lohnen sich auch mehrfache Überarbeitungen desselben Textes.
Schreibidee #112: Welche deiner früheren Handlungen (Entscheidungen, Einstellungen) ist heute schwer zu erklären? Versuche es!
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Eine Antwort zu “#112 — Schwer zu erklären”
#112 – Schwer zu erklären
…ist mir heute rückblickend die Meinung meiner Mutter, dass ich niemals einen Deutschen heiraten solle. Meine holländische Mutter, die sich doch selbst friedensbewegt in euphorischem Überschwang in meinen äußerst friedliebenden, Gitarre spielenden deutschen Vater verliebt hatte, erlitt sofort nach ihrer Heirat in Deutschland so etwas wie einen Rückfall. Sie flößte mir mit der – in den Siebzigern üblichen – Flaschenmilch eine solide Verachtung gegenüber meinem sprichwörtlichen Vaterland ein. Allzu gerne tönte sie in Siegerlaune seine dunkle Vergangenheit noch trüber ein. Treu dem mütterlichen Auftrag folgend, heiratete ich sodann einen ansonsten für mich gänzlich unpassenden Dänen. Die kindliche Naivität der Dänen gepaart mit einer völlig unverdienten Arroganz uns gegenüber – ob des digitalen Vorsprungs ihres Landes – ist für uns Deutsche kaum zu ertragen. Wir haben ganz andere Wettbewerbsbedingungen! Die Dänen werden so geschont! Was ich seit meiner Eskapade in den Norden heute an Deutschland liebe, ist mir neulich erst überraschend bewusst geworden: Mein väterlicher Gitarrenspieler hatte immer einen Unterton in moll: die so vertraute, in allem leicht mitschwingende Melancholie.