Ich kenne eine Weihnachtsgeschichte, in der ein Vater einer Mutter einen Bildband von Norwegen schenkt.
Wir betrachteten gemeinsam die Bilder. Da waren hohe Berge, Meer und Wasserfälle zu sehen und hübsche kleine rote Häuschen. Papa sagte: »Wenn der verdammte Krieg vorbei ist, dann zeige ich euch beiden dieses wundervolle Land.«
Für den Vater sollte der Krieg nie vorbei gehen. Er starb »keine zwei Jahre nach diesem Weihnachtsfest«.
Die Geschichte stammt aus dem Buch »So feierten wir damals. Erlebte Geschichten durch das Jahr«.
Weihnachtsgeschichten müssen nicht aus märchenhaften, wunderbaren Geschehnissen zusammengesetzt werden. Das Weihnachtsfest ist selbst symbolisch genug, wir kennen seinen hohen Gefühlswert, sodass in dieser Bilderwelt noch die kleinste Beobachtung rührend wirken kann. In einer Weihnachtsgeschichte kann eine halbe Kindheit erzählt werden, oder mehr als die halbe Geschichte einer Familie.
Schreibidee #14: Schreiben Sie eine wahre Weihnachtsgeschichte aus Ihrem Leben
Hinweis: Die »Wahrheit« der Geschichte muss nicht in der Genauigkeit der Details liegen, sondern in dem, was sie über die beteiligten Menschen erzählt. Sie kann humorvoll, traurig, bissig-satirisch sein oder jedes andere Gefühl zum Ausdruck bringen, das Sie dem Weihnachtsfest gegenüber hatten oder haben.
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5 Antworten zu “#14 — Wahre Weihnachtsgeschichte”
Familie B. am 24.12.
Vater hat schlechte Laune. Warum wissen wir nicht. Hat er immer am Heiligabend-vormittag, das kennen wir schon. Wenn er aus dem Mittagsschlaf kommt, ist es besser.
Jetzt muss erstmal der Weihnachtsbaum in Position gebracht werden. Die Eltern hieven ihn gemeinsam von draußen, wo er am Fensterkreuz gehangen hat, in die Küche unserer Dreizimmerwohnung. Vater schiebt, Mutter zieht, es gibt Geschrei und Gezeter. Dazwischen wuselt die Tante und bereitet das Mittagessen vor. Die Küche ist zu klein für drei Erwachsene und einen Tannenbaum. Wir Kinder – meine kleine Schwester und ich – sind überall im Weg, deshalb haben wir uns auf einen Beobachtungsposten im Flur verzogen.
Endlich steckt der Baum im Ständer und wird im Wohnzimmer auf einem kleinen Tisch platziert. Vater bringt die Kerzenhalter an und achtet genau darauf, dass kein überhängender Zweig von einer Flamme erfasst werden kann. Nach dem Mittagessen verschwindet er wortlos im Schlafzimmer. Mutter nutzt die Gelegenheit, um heimlich noch weitere Kerzenhalter zu befestigen. Für sie kann es nie genug Lichter am Baum geben. Meine Schwester und ich sind für das Lametta zuständig und bald hängt an jedem Zweig ein silbrig flirrender Vorhang aus einzelnen Lametta-Fäden. Zusammen mit den goldenen Kugeln und den weißen Kerzen ist es der schönste Weihnachtsbaum der Welt.
Am Nachmittag erscheint Vater wieder, immer noch wortkarg, aber etwas weniger grimmig. Nach dem Kaffee trinken verabschiedet sich die Tante und wir Kinder werden bis zur Bescherung ins Kinderzimmer verbannt. Später dürfen wir für den Kirchgang vorübergehend heraus kommen. Bis dahin ist es langweilig und ich bin froh, als wir endlich losgehen. Ich mag die vertrauten Weihnachtslieder, die jedes Jahr wieder im Gottesdienst gesungen werden und im muffigen Geruch der Alt-Schöneberger Dorfkirche fühle ich mich geborgen. Während der endlosen Predigt schaue ich mir das Altarbild an – eine Madonna mit einem dicken, hässlichen Baby.
Inzwischen ist es dunkel geworden und auf dem Heimweg sehen wir in fast allen Fenstern brennende Kerzen. Ich finde das wunderschön. Zuhause wird unsere Mutter auch die dunkelgrünen Kerzen, die das Rote Kreuz verteilt hat, in unsere Fenster stellen. Damit grüßen wir West-Berliner die Menschen im Ostteil der Stadt, die seit dem Mauerbau nicht mehr mit ihren West-Verwandten zusammen Weihnachten feiern dürfen.
Zurück in der Wohnung geht es für uns Kinder wieder in die Verbannung. Licht anmachen ist verboten, das macht aber nichts, wir haben ja die Kerzen am Fenster. Dort stehe ich neben meiner Schwester und wir schauen aus dem 3. Stock auf den Innsbrucker Platz. Wir sehen Busse und Straßenbahnen, aber der sonst so brausende Verkehr ist heiligabendlich ruhig geworden. Wir beide dagegen werden immer nervöser. Gedicht aufsagen und Klavier vorspielen steht für uns auf dem Programm. Hoffentlich bleiben wir nicht stecken. Die Bescherung muss verdient werden.
Irgendwann riecht es nach abgebrannten Streichhölzern und wir werden erlöst. Vater spielt auf dem Klavier im Wohnzimmer ‚Ihr Kinderlein kommet‘ und wir Kinder kommen. Die Kerzen am schönsten Weihnachtsbaum der Welt brennen. Die Lametta-Vorhänge schweben in der aufsteigenden Kerzenwärme, in der auch Vater langsam auftaut. Noch einmal müssen wir Weihnachtslieder singen. Der Gedichtvortrag klappt, das Vorspiel auch – Gott sei Dank – und dann endlich dürfen die Geschenke ausgepackt und angeschaut werden. Ich bedanke mich pflichtschuldigst für Aussteuerobjekte wie Bettwäsche und Handtücher und verziehe mich so schnell wie möglich mit dem neuen Buch, das zum Glück auch noch zwischen all den praktischen Dingen lag, in den Lesesessel hinter dem Christbaum. Dort tauche ich in spannende Geschichten ein, bis ich zum Helfen in die Küche gerufen werde.
Beim Abendessen erzählt Vater von seiner Kindheit in einem pommerschen Dorf und wie dort Weihnachten gefeiert wurde. Das tut er selten. Und dann – das tut er fast nie – erzählt er vom Krieg.
Morgen wird die ganze Wohnung erfüllt sein vom beglückenden Duft eines Gänsebratens. Es ist wie immer ein schönes Weihnachten.
Hallo, mein Name ist Peter Kolar, und ich habe zwei persönliche Weihnachtsgeschichten, die ich gerne vorstellen möchte. Das “Fest der Nase” ist mir heute in den Sinn gekommen und das anschließende “Schaukelpferd” habe ich 2016 aus den Erinnerungen meines Vaters und eigenen Erinnerungen geschrieben.
Weihnachten – das Fest der Nase
Ich erinnere mich gerne an die berühmten Weihnachtsgeschichten von Karl Heinrich Waggerl, und wie er bin ich der Meinung, dass Weihnachten und die Vorweihnachtszeit vor allem auch eine Zeit der Grüche ist. Mit Waggerl bin ich groß geworden und seine Erzählungen entsprachen der gläubigen und heimatlichen Gefühlswelt meiner Eltern, die im Böhmerwald geboren wurden. Als sie nach der Vertreibung 1946 in Hofheim am Taunus landeten, brachten sie auch ihre weihnachtlichen Bräuche mit.
So hatte für mich Weihnachten immer etwas magisches und meine lieben Eltern taten alles, um mir wenigstens eine gewisse, kindliche Gläubigkeit in einer oft doch sehr dunklen Welt zu erhalten. Natürlich glaubt man irgendwann nicht mehr an Wunder, das Leben wird profaner und auch das Weihnachtsfest selbst verlor im Laufe der Zeit an Glanz, da es immer mehr verkommerzialisiert wurde.
Aber die Sehnsucht nach Wunder kann man sich durchaus über die Lebensjahre bewahren. Wenn man das Glück hat, Kinder zu haben, kann man dank ihrer auch die eigene Kindheit wieder auferstehen lassen und versuchen, ihnen ein wenig „Wunder-glaube“ zu vermitteln, ihnen vor allem aber auch zu zeigen dass es einzig die Liebe ist, die unsere Welt lebenswert macht. Und wenn in meinem nun 71jährigen Dasein das Leben auch noch so desillusioniert wurde, fand ich doch gerade zu Weihnachten immer wieder eine kleine, ruhige und besinnliche Nische, in der es mir gelang, den „Geist der Weih-nacht“ in mich hineinzulassen.
Als Kind ging ich mit meinem Vater Anfang Dezember in den Wald, Gerten schneiden. In den 1950er Jahren waren da oft schon die ersten Fröste unterwegs. Es war kalt, der weiße Hauch des Atems umwehte unsere Gesichter und schuf auf dem Schnurrbart meines Vatis kleine Eiskristalle. Es roch nach Moos, Erde und bald auch nach den frisch geschnittenen Gerten, die wir in große Bündel schnürten und nach Hause schleppten.
Dort wurden sie auf dem Küchentisch ausgebreitet, etwas zurechtgestutzt und mit Klebestreifen zu kleinen Ruten geformt. Ich hatte dann die Aufgabe, aus Buntpapier kleine Fähnchen zu schneiden, die dann an die Ruten geklebt wurden. Es waren dies unabdingbare Utensilien für den Böhmerwald-Nikolaus, der in der Heimatgruppe der Böhmerwäldler Jahr für Jahr zelebriert wurde.
In einem Saal in Eddersheim hatte der Nikolaus aus dem Böhmerwald ein Domizil gefunden und auch die Einheimischen kamen gerne mit ihren Kindern, um den heiligen Mann zu erleben, der da mit seinen Engerln und Krampussen aus dem tiefen Böhmerwald in den Taunus gekommen war. Auch dieser Saal war für mich voller Gerüche. Zwischen dem damals noch obligatorischen Tabaksrauch roch es auch betörend nach Christstollen, Lebkuchen, Kaffee und Tee. Manchmal kam auch der Geruch von etwas Angstschweiß dazu wenn sich so mancher Knabe, ich eingeschlossen, an seine Verfehlungen des letzten Jahres erinnerte, während ihn Nikolaus aufrief und der wilde Krampus mit seiner Kette rasselte. Aber das gab sich bald wieder wenn die Geschenke verteilt waren, und die Kinder nun den Krampussen nachliefen um sie am Schwanz zu ziehen, oder ihnen mit den ausgeteilten Ruten auch mal einen kleinen Hieb zu verabreichen.
Die nächste Geruchsexplosion für mich war die Zeit, als Mutter, gemeinsam mit ihrer Schwester, unsererTante Julia, die mit zu unserer Familie gehörte, anfing Plätzchen zu backen. Mit hochroten Köpfen werkten sie in der Küche herum. Anfangs war es noch ein alter Kohleherd, in dem gebacken wurde, erst später gab es einen etwas moderneren Gasherd. Natürlich versuchte auch ich mich, so gut es ging, nützlich zu machen, und wenn es nur dazu war, die allerletzten Teigreste aus den Schüsseln zu schlecken. Zumindest bis Mutti befahl: „Jetz is oba gnua, du kriagst ja Bauchweh!“
Und was gab es da doch für herrliche Plätzchenrezepte, die Mutti aus ihrer böhmisch-österreichischen Heimat mitbrachte. Obligatorisch waren vor allem die Vanillekipferln, die Sacherringeln, die Nussbusserlen oder die Linzer Plätzchen. Es vergingen meist mehrere Tage bis alle Dosen gefüllt waren und von Mutti meist so gut versteckt wurden, dass ich da vor Weihnachten nur ja nicht drankam.
Zu einem Geruchserlebnis der etwas herberen Art kam es in den kalten Rauhnächten vor Weihnachten, wenn wir ausgekühlt von einem Spaziergang heimkamen und es draußen bereits zu dunkeln begann. Dann wurde der Küchenofen nochmal kurz hochgeheizt und Weißbrotscheiben auf der heißen Platte geröstet. Wenn diese schön dunkelbraun und kross waren, wurden sie mit einer Knoblauchzehe eingerieben, mit Butter bestrichen und etwas Salz bestreut. Das so genannte „Knofelbrot“ war ein Genuss und man konnte kaum aufhören zu futtern. Gut, für Außenstehende mag der Geruch dann nicht so ganz erstrebenswert gewesen sein, aber für uns war es okay.
Ja, und am Heiligen Abend roch es dann vor allem nach dem großen Wunder, der Menschwerdung Gottes. Der christliche Glaube war sehr wichtig in unserer Familie und wurde auch nach außen gelebt. Das Wohnzimmer war an diesem Tag für mich natürlich tabu. Doch von überallher kamen verführerische Gerüche und Geräusche und vor Neugier und Aufregung meinte ich manchmal fast platzen zu müssen. Als man mich kleines „Nervenbündel“ endlich einigermaßen über den Tag gebracht hatte und es langsam draußen finster wurde, setzten wir uns traditionell in der Küche zum Essen zusammen. Da der 24. Dezember ein so genannter kirchlicher Abstinenztag war, gab es kein Fleisch. Aber es standen frische Brötchen und Butter auf dem Tisch. Zum Belag gab es hartgekochte Eier, verschiedene Käse und Fisch aus der Dose. Jeder bekam eine große Tasse klare Brühe zum Trinken.
Endlich erklang das Glöckchen aus dem Wohnzimmer und andächtig schlichen wir alle in den abgedunkelten Raum, in dem nur die Kerzen an dem festlich geschmückten Weihnachtsbaum brannten und einige Wunderkerzen ihren sprühenden Duft verbreiteten. Dazu spielte leise eine Weihnachtsplatte das Lied „Stille Nacht, heilige nacht …“. Natürlich mussten wir alle mitsingen, was mir oft vor lauter Rührung nicht gelang. Mutter sprach ein Gebet und die Weihnachtsgeschichte wurde vorgelesen. Erst dann ging es zum gemütlichen Teil und den Geschenken über.
So, erinnere ich mich zumindest heute, hat meine Nase mit dazu beigetragen, dass ich mich an diese Weihnachtsfeste in den 1950er Jahren erinnern kann. Und nein, ich empfinde es nicht als kitschig oder rührselig. Im Gegenteil, diese Erinnerungen an die Gerüche und Wunder meiner Kindheit, geben mir auch im Alter Ruhe und Halt. Heute mache ich mir den Ausspruch des großen Albert Einstein zu eigen, der einmal sagte: „ Es gibt nur zwei Arten, sein Leben zu leben: Entweder so, als gäbe es keine Wunder, oder so, als wäre alles ein Wunder.“
Als mein Vater 1989 starb begann ich, auf Anrgung meiner lieben Mutter, mit ihr zu Weihnachten die Vanillekipferln zu backen. Viele Jahre noch bei ihr zu Hause, dann bei uns daheim. Mein Töchterlein Judith konnte kaum die Nasenspitze über den Tischrand strecken, da wollte sie auch schon mithelfen. Und heute backen Tochter und Vater zusammen Weihnachtsplätzchen. Das ist vielleicht kein Wunder, aber es ist eine wunderschöne Tradition und die Kipferln richen und schmecken noch genauso wie damals.
Ein Schaukelpferd zu Weihnachten
Eigentlich handelt es sich um zwei Schaukelpferde und zwei Weihnachtsfeste, von denen ich hier erzählen möchte. Und es ist auch schon viele Jahre her als sich die Ereignisse zutrugen, aber sie sind tatsächlich so geschehen. Ich möchte von zwei kleinen Buben berichten und wie sie die Advents- und Weihnachtszeit damals erlebt haben. Bei diesen beiden kleinen Buben handelt es sich um meinen Vater und mich, und die Geschehnisse liegen schon über 90-, bzw. 60 Jahre zurück, aber es spielt immer ein Schaukelpferd eine gewichtige Rolle.
Mein Vater wurde im April 1913 in Krummau an der Moldau geboren, im schönen, grünen Böhmerwald, in dem es im Winter allerdings eisig kalt und schneereich war. Er wuchs in großer Armut auf. Bald tobte der Erste Weltkrieg und Europa wurde umgekrempelt. Die Mutter musste mit drei kleinen Kindern alleine zurechtkommen, von denen sie ein Töchterchen an ihre Eltern gab, da sie es nicht ernähren konnte. Ein viertes Geschwisterchen überlebte einen harten Winter nicht, verstarb mit wenigen Monaten an Unterernährung und wurde so zum Engel, wie die Mutter zu erklären versuchte. So waren mein Vater Jakob und sein älterer Bruder Adalbert schon früh auf sich alleine gestellt. Die Mutter arbeitete in der Fabrik und sie mussten in Wald und Feld sehen, was die Natur noch Essbares für sie parat hätte. Das Sammeln von Beeren und Pilzen, Korn lesen und Kartoffelstoppeln waren überlebenswichtig, um durch den harten Winter zu kommen. Damals hatten die armen Leute weder Zeit, Geld noch Muße, das Weihnachtsfest zu feiern. In Kirche und Schule hörte mein Vater zwar von Weihnachten, aber zu Hause war davon nichts zu spüren.
Das änderte sich erst 1923, da war er gerade zehn Jahre alt geworden und die Familie durfte in eine neue, städtische Wohnung ziehen. Die Mutter hatte wieder geheiratet und es war noch ein Brüderchen mit Namen Hans dazugekommen, das mittlerweile zwei Jahre alt geworden war. Der Winter kam wieder ins Land gezogen und die Weihnachtszeit warf diesmal auch für sie ihre Schatten voraus. Zum ersten Mal wurde in Vaters Familie das Weihnachtsfest gefeiert.
Schon zu Nikolaus bekamen die drei Buben Lebkuchen, Nüsse, und Äpfel, aber auch die Rute des Krampus auf ihren Hinterteilen zu spüren. Wie hier der Knecht Ruprecht, war im Böhmerwald der Krampus, ein Teufel, der Begleiter des Heiligen Nikolaus. Der flößte den Kindern schon einen gewissen Respekt ein und so beschlossen sie, doch wenigstens bis Weihnachten mit dem Artig sein durchzuhalten. Schließlich hofften sie ja, diesmal etwas vom Christkind zu bekommen, denn ebenfalls zum ersten Mal in ihrem Leben durften sie einen Wunschzettel schreiben und aufs Fensterbrett legen. Als dieser am nächsten Morgen verschwunden war konnten sie es kaum mehr erwarten, bis der Heilige Abend kam.
Eine weitere Premiere für die Kinder war der Kauf eines Weihnachtsbaumes. Und so liefen die Vorbereitungen für das Christfest bald auf Hochtouren. Mutter backte die ersten Plätzchen und abends durften die Buben mithelfen, an die Walnüsse abgebrochene Streichhölzer zu stecken und dann mit Silber- und Goldbronze zu bekleben. Als sie trocken waren wurden Bändchen daran geknüpft, um dem Christkind die Möglichkeit zu geben, all die guten Sachen an den Weihnachtsbaum hängen zu können. Für die drei Brüder war das alles neu und sehr interessant, und mit Sehnsucht warteten sie auf den großen Tag.
Draußen war es indessen grimmig kalt geworden, um die 20 Grad minus zeigte das Thermometer, und die äußeren Fenster waren schon bis oben hin mit Eisblumen verziert. Im Ofen prasselte allerdings ein gemütliches Feuer, Mutter hatte ein Strickzeug in den Händen und munter klapperten die Nadeln aneinander. Der Vater las in einem Buch, Adalbert und Jakob saßen am Küchentisch und machten Schulaufgaben, während das kleine Hänschen bereits fest in seinem Bettchen dem Weihnachtstag entgegen schlummerte.
Und was war am nächsten Morgen die Aufregung groß, denn es war tiefer Winter geworden. Es schneite immer noch, und die ganze Welt lag wie verzaubert unter einer dicken, weißen Schneedecke. Damit die Eltern alles vorbereiten konnten, durften die Kinder am Nachmittag hinaus in die herrliche Winterlandschaft. Am nahen Kreuzberg traf sich bald eine ganze Schar von Jungen und Mädel, die sich da gemeinsam eine richtige Schlitterbahn bauten. Nur wenige besaßen einen richtigen Schlitten, viele hatten höchstens einen selbst zusammengezimmerten, so genannten „Brettelhupfer“, oder sie sausten einfach auf ihren Holzschuhen die herrliche, glatte Bahn hinunter. Natürlich kamen sie so gut wie nie heil unten an. Aber das gehörte natürlich mit zu dem Spaß. Der eine rutschte am Hosenboden, ein anderer überschlug sich ein paarmal, ein dritter kam auf dem Bauch angerast. Ausgesehen haben alle wie die Schneemänner, und vor lauter Übermut spürten sie kaum die klirrende Kälte.
Um 17.00 Uhr wurden sie von der Mutter ins Haus gerufen. Aber da setzte es zunächst einmal eine gehörige Standpauke. Zum Glück war der Stiefvater nicht da sonst hätte es, Heiliger Abend hin, Heiliger Abend her, womöglich noch eine Tracht Prügel gegeben. In der damaligen Zeit waren die Eltern längst nicht so verständnisvoll und zart besaitet wie heute. Schläge waren als Erziehungsinstrument ganz normal und bei der Armut dieser Zeit fast verständlich. Die Mutter musste extra neue Wäsche und Kleidung zusammensuchen, die damals nur sehr sparsam vorhanden war, denn die Schneeklamotten tauten in der warmen Stube sofort, und mit den pitschnassen Klamotten am Leib hätten sich die Kinder den Tod holen können.
Aber endlich kam es dann doch zur Bescherung. Es war die erste Weihnacht dieser Art, die Jakob, Adalbert und der kleine Hans erleben durften. Und trotz der vielen Wünsche, die nicht erfüllt wurden und trotzdem die beiden Älteren zu spüren bekamen, dass sie für den Vater nur Stiefkinder waren, die Überraschung war so freudig, dass sie an die vielen anderen Wünsche gar nicht mehr dachten. Da stand ein Schaukelpferd, ein Brauner, der unter dem Lichterglanz des geschmückten Weihnachtsbaumes heraus leuchtete. Das schönste daran war, es war so groß, dass alle drei Buben darauf Platz hatten. Später überließen die beiden Großen es gerne ihrem kleinen Brüderchen. Das hatte für sie dann den großen Vorteil, dass sie wenigstens eine Zeitlang vor ihm Ruhe hatten.
Ja, so war das damals, 1923, in einer ärmlichen, deutschen Familie im Böhmerwald. Und auch knapp 30 Jahre später, in einer sehr bescheiden lebenden Familie in Hofheim am Taunus, spielte sich Ähnliches ab. Mein Vater wuchs heran, heiratete seine Anni, bekam zwei Söhne, musste in den Krieg ziehen und wurde schließlich 1946 aus seiner Heimat im Böhmerwald vertrieben. In Hofheim wagte er einen Neuanfang, und 1950 wurde ich geboren, als Hesse mit böhmischem Migrationshintergrund. Wir lebten mit sieben Personen in einer kleinen Wohnung in der Hauptstraße. Drei kleine Zimmer, Küche und Klo auf halber Treppe. Gebadet wurde samstags in einer Zinkwanne in der Küche. Aber wir hatten uns und liebe Freunde, nur das war wichtig.
Das Jahr 1952 brachte allerdings einige herbe Schicksalsschläge. Im Sommer starb meine Oma und im Herbst erkrankte mein Vater schwer und kam ins Hofheimer Marienkrankenhaus. Natürlich besuchten wir ihn, so oft es ging. In seinem Zimmer lag ein Mann im Sterben. Ich kleiner Wurm von zwei Jahren bin ohne Scheu zu ihm hingegangen. Er lächelte mich immer ganz lieb an, und vielleicht konnte ich ihm in seinen letzten Stunden noch etwas Freude bereiten. Leider achtete aber damals niemand auf die wohl doch sehr hohe Ansteckungsgefahr. So fing ich mir eine schwere Leberentzündung ein. Mein Körper konnte keinerlei Flüssigkeit mehr halten, es wurde lebensbedrohlich. Notruf gab es nicht, Telefone und Autos waren selten. Aber liebe Menschen halfen und so fuhr ein guter Freund meine Mutter und mich im Höllentempo in die Uniklinik nach Frankfurt. Ich lag auf Leben und Tod, aber irgendwie habe ich es geschafft, sonst könnte ich ja jetzt nicht hier sitzen. Das Leben habe ich meiner kämpferischen Mutter, lieben, selbstlos helfenden Freunden und kompetenten Ärzten zu verdanken. Und das zu einer Zeit, wo meine Eltern als Heimatvertriebene erst ganz langsam wieder Fuß in einer für sie fremden Umgebung fassen mussten.
Meinem Vater durfte man im Krankenhaus nichts von meinem Zustand erzählen, um seine Genesung nicht zu gefährden. Und dennoch haben wir es beide irgendwie geschafft, gerade an Heilig Abend wieder zu Hause zu sein. Natürlich habe ich keine richtigen Erinnerungen mehr an diese Zeit, nur einige schwarzweiß Fotos und die Erzählungen von Vati und Mutti, haben sich in meinem Gedächtnis fest gebrannt. Aber noch mehr eingebrannt haben sich die Gefühle. Gefühle von unendlicher Geborgenheit und Liebe. Und da war auch das Schaukelpferd, das mein Vater noch vor seiner Erkrankung selbst gebaut und bemalt hatte. Ich habe es geliebt und musste, da meine beiden Brüder ja über zehn Jahre älter waren auch keine Angst haben, dass sie es mir abspenstig machen würden.
Dankbar blicke ich auf diese arme Zeit zurück, die sich heutige Kinder und Jugendliche kaum noch vorstellen können. Umso wichtiger ist es, diese alten Geschichten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Gerade jetzt könnten sie Wegweiser für unser gegenwärtiges Leben sein.
Geschichte von Peter Kolar, in anderer Form veröffentlicht in der Hofheimer Zeitung, Sommer 2014 in der Serie „Was Böhmerwald und Taunus verbindet“.
Lesezeit: ca. 11 Minuten
Stimmt – alle Jahre wieder … und so auch in diesem besonderen Jahr dürfen wir Weihnachten feiern. – Danke für den Impuls, sich wieder einmal zu erinnern, wie sich das Fest früher anfühlte.
Ich stehe am Fenster und sehe in den Abend hinaus. Es regnet und zwischen den Regentropfen wirbeln schon vereinzelte Schneeflocken. Die Puppe, die ich im Arm halte, habe ich in einem kleinen Pappköfferchen ganz hinten im Wandschrank gefunden, als ich nach der Schachtel mit der Weihnachtsdekoration kramte. Das Köfferchen war einmal ein Handarbeitsköfferchen gewesen, wie es kleine Mädchen in den 50er Jahre des letzten Jahrhunderts für die Handarbeitstunde mit in die Schule nahmen, gefüllt mit Wolle und Stricknadeln oder Garn und Stoffresten. Während ich die Puppe fest im Arm halte und in den langsam dichter werdenden Schneeregen hinaus sehe, bin ich wieder das kleine Mädchen und befinde mich in der großen Stube bei der Mutter. Es war nicht meine Großmutter, sondern meine Pflegemutter und ich nannte sie „Mutter“, weil ihre erwachsenen Töchter sie auch so nannten. Ich bin vielleicht vier oder fünf Jahre alt und es dürfte die Zeit um das letzte Weihnachtsfest gewesen sein, das ich in dieser Familie verbrachte.
Die große Stube in dem kleinen Haus war Wohnraum und vor allem Küche in einem. Da war die Bank, die sich um eine Breit- und eine Längstseite des Raumes zog. Auf sie konnte man gleich neben der Tür, die vom großen Flur hineinführte, klettern und fast bis zur Tür, die in den Schlafraum ging, entlang laufen.
Es gab kein elektrisches Licht im Raum, im ganzen Haus nicht. Licht gab die Petroleumlampe, die über dem großen Tisch in der Ecke hing. Wenn ich auf der Bank stand oder auch auf dem Tisch kniete, dann war ich der Lampe ganz nahe. Der Glasstutzen der Lampe wurde ganz vorsichtig abgenommen und ich durfte an dem kleine Rädchen am Fuß der Lampe drehen. Der breite Docht, getränkt mit Petroleumöl, ragte nun etwas höher heraus und der Lichtschein der Lampe wurde größer und fiel weiter in das Zimmer hinein und Schatten tanzen an der Wand.
Die wohlige Wärme, die sich abends ausbreitete, kam aus dem runden „Kanonenofen“, der mitten im Raum stand. Man durfte ihm nicht zu nahe kommen, aber es war so aufregend, ein Stück Holz oder Brikett nachlegen zu dürfen. Die kleine Ofentür wurde aufgehebelt – paß’ auf, der Eisenriegel ist heiß! – aber mit einem Scheit Holz konnte man ihn ohne sich zu verbrennen hochschlagen und dann fiel das Kohlestück in die Glut, die auseinander stob und rote Funken versprühte. Oben auf dem runden Öfchen stand ein Topf mit Wasser, der leise zu summen begann, wenn das Wasser heiß genug war.
Wenn die kalte Jahreszeit kam und die Eisblumen an den Fenstern auch tagsüber nicht mehr wegschmolzen, dann wurden die paar buntgefiederten Zwerghühner aus dem breiten Flur des alten Hauses, wo sie bis dahin abends untergebracht waren, in die warme Stube geholt. In einer mit Stroh ausgelegten und mit einem Drahtgitter verschlossenen Kiste wurden sie neben der Tür unter die Bank geschoben. Dort saßen sie dann und steckten die Köpfe unter die Flügel.
In dieser Jahreszeit, wenn es draußen so früh dunkel wurde und ich lange in der dämmrigen Stube ausharren musste, bis die großen Leute mit ihrer Arbeit auf dem benachbarten Bauernhof fertig waren, schien vieles geheimnisvoll zu sein. Es roch nach Honig und Nüssen, aber die Lebkuchen und Plätzchen, die der Grund dafür waren, verschwanden nach dem Backen und tauchten erst am Weihnachtsabend wieder auf. Dafür lagen von den getrockneten Apfelscheiben auf einem Teller und immer wieder mal lag ein silbernen Faden oder lockiges Engelshaar auf der Fensterbank oder dem Fußboden. „Der Engel, den das Christkindl auf die Erde schickt um zu schauen, wo brave Kinder sind, ist durch’s Haus geflogen.“ Oh je, das mit dem Bravsein war so eine Sache … Aber dann lag da doch eine schmale, längliche Schachtel unter dem Christbaum, der wie jedes Jahr erst am Heiligabend aus dem Wald geholt worden war und in der warmen Stube seine würzigen Tannenduft verströmte. Die Kerzenlichter spiegelten sich in den bunten Kugeln und der Weihnachtsengel hatte sein ganzes wallendes Haar im vorbeifliegen in unserem Christbaum hängen gelassen.
Ich schaue auf die kleine Puppe, die mit abgestoßener Nase im zerkratztem Pappmachegesicht und mit kümmerlichen, verfilzten Haaren in meinem Arm liegt. Die Puppe ist wirklich nicht besonders schön, aber sicher heiß geliebt gewesen von dem Zeitpunkt an, als ich sie vor fast 70 Jahren mit einem begeisterten Aufschrei aus der Schachtel nahm und an mich drückte.
Zuviel Weihnachten
Weihnachten all überall … ach je, schon wieder ist es soweit – bereits seit Wochen überall Lebkuchen und Christstollen, weihnachtliche Dekoration, grün und golden – Lichter bestückt.
Nicht immer war Weihnachten zuviel.
Die lange Zeit des Wartens – noch erwartungsvoller geworden durch den Duft von seltenen Gewürzen beim Plätzchenbacken, von Bratäpfeln und Mandarinen – ätherische Öle mit angenehmer Wirkung. Und dann endlich die lang ersehnte Puppe im Arm halten. Da nahm ich auch die Zugabe von warmer Unterwäsche in Kauf.
Der Weihnachtszauber schwächte sich ab, als ich in buntes Geschenkpapier eingewickelte Päckchen ganz hinten im Kleiderschrank entdeckte und ahnen konnte, wer sich unter dem Gewand des Bischofs Nikolaus verbarg. Und die Androhung, von Knecht Ruprecht mitgenommen zu werden, falls wir das Jahr über nicht brav sein sollten, verlor ihren Schrecken, als ich merkte, dass die Beine des bösen Buben im Sack nur ausgestopft waren.
Und später nervte es nur noch: der Fast-Familienkrach beim Schmücken des Baumes, weil er nicht wirklich gerade im Ständer stand und die Kerzen zu nahe an den Zweigen, so dass sie in Brand geraten könnten. Was sie jedoch sowieso nicht getan hätten, weil der Christbaum, ganz frisch gefällt, direkt aus dem Wald kam und der Honigduft der Kerzen sich mit dem harzigen Duft der Tanne nur an den Weihnachtstagen vermischte. Dann waren die Kerzen heruntergebrannt und neue wurden höchstens noch einmal zum Jahreswechsel aufgesteckt.
Und alle Jahre wieder: Würstchen mit Kartoffelsalat und nach der Bescherung ein Gläschen Punsch. Oder war es Eierlikör? Wie spießig! Spätestens am ersten Feiertag-Nachmittag waren wir auf der Eisbahn – Schlittschuhlaufen war schöner als Weihnachtsliedersingen.
Und ein paar Jahre später? Am schönsten und buntesten war die Weihnachtzeit in Rom:
Wenn die Luft klar und der Himmel strahlend blau war, vom eisigen Nordwind, der Tramontana, frei gefegt von jedem Wölkchen, und die Sonne in den Glitzerketten an den Ständen des Weihnachtsmarktes auf der Piazza Navona funkelte. Ein paar weihnachtlich geschmückte Buden um den Vier-Ströme-Brunnen, mit vielen Süßigkeiten im Angebot, bunter Weihnachtsdekoration und vor allem Spielzeug aller Art, besonders oft Plastikschwerter und Pistolen, begehrter als das auch vereinzelt angebotene weihnachtliche Kunsthandwerk. Das war für uns ganz und gar ungewohnt, nicht zu vergleichen mit dem Christkindlmarkt in München – eben anders, viel bunter und fröhlicher.
Die Kinder spielten zwischen den Buden und konnten nicht genug davon bekommen, den Pifferi nachzulaufen. Damals waren es wirklich noch Hirten aus den Abruzzen, die in der Weihnachtszeit nach Rom kamen und mit ihren Schalmeien und dudelsackähnlichen Instrumenten über die Plätze und durch die Straßen zogen, einfache weihnachtliche Weisen spielten und dafür ein paar Lire bekamen.
Der Maronenverkäufer mit seinem kleinen Kohleöfchen war der ruhende Punkt in diesem Treiben. Bedächtig wendete er die großen Esskastanien auf dem Rost hin und her, drehte aus Zeitungspapier kleinen Tüten und hatte dabei doch das Geschehen ringsum im Blick – dass ihm keines der Kinder in den Eimer mit den in Salzlake eingelegten Oliven griff oder in den Sack mit Kürbiskernen. Beides Leckereien, die er neben den heißen Maroni anbot. Und das alles vor der Kulisse dieses schönen Platzes mit seinen Palazzi, Brunnen und Kirchen.
Die am meisten frequentierten Einkaufsstraßen waren festlich geschmückt, mit Lichterbogen, und vor den Geschäften standen oft Pflanzkübel mit kleinen Palmen, behängt ebenfalls mit besagten Glitzerketten. Und auf die berühmte Via Condotti hatten die Stadtverschönerer einen grünen Teppich legen lassen, damit die in Pelzmäntel gehüllten Römerinnen wie auf einem Rasen flanieren sollten. Aber nachdem der Monat Dezember auch in Rom ein Regenmonat ist, wurde aus dem grünen Rasen ein bräunlicher Sumpf, über den die feinen Damen mit ihren Einkaufstüten von Gucci und Valentino zum Caffè Greco stiefelten. Bei jedem Tritt quatschte das Schmutzwasser unter ihren schicken Lederstiefelchen. Auch hier in der Nobelstraße: die Piffari, schalmeienblasend, und Frauen aus der Borgata, die auf einer umgedrehten Obstkiste Bündel von Mistelzweigen zum Kauf anboten. So versuchte jeder, ein wenig am Weihnachtsgeschäft teil zu haben.
Und jeder schenkte jedem einen großen Panettone – den süßen Hefekuchen mit kandierten Früchten und gezuckerten Mandeln. Bei Alemagna, der großen Caffé-Bar in der Via del Corso, lagen Berge von blauen Schachteln mit dieser Köstlichkeit, aufgetürmt auf der Theke, so dass man kaum darüber schauen konnte, und sie fanden reißenden Absatz. Jeder wollte an Weihnachten einen Panettone haben und einen verschenken.
Auch ich brachte meiner Freundin einen mit. Sie arbeitete damals in einem kleinen Altersheim in Capanelle in der Nähe von Rom. „Ach komm’ doch raus zu uns“, drängte sie mich, „wir machen eine schöne Feier für die alten Leute. Und du hilfst mir!“ Was sollte ich dagegen setzen? Gesagt getan – wir beide schlüpften in lange weiße Gewänder, bekamen zwei Flügel aus Goldfolie verpasst und aus ebenfalls goldiger Putzwolle ein Krönchen aufgedrückt – und fertig waren zwei Engel als Begleiter des Nikolaus. Dafür hatten die Schwestern, die das Altersheim führten, einen Studenten angeworben, der sein hohes Amt würdig versah. Die Bewohnerinnen der Casa di cura waren sehr angetan von dem freundlichen Bischof. Kekse, Mandarinen und sonstige Kleinigkeiten, die wir im Korb hatten, waren Nebensache und sehr bald wurde das Tanzbein geschwungen. Egal ob Engel, Nikolaus oder Nonne – wir mussten mit den noch einigermaßen beweglichen Alten, ein Tänzchen wagen. In dieser fröhlichen Runde dann die Frage einer alten Dame: „Perché non ci cantate questa canzone di Nike nake?“ „Warum singt ihr uns nicht dieses Lied von „Nike nake“?“ Was sollte das denn heißen? Welches Lied wollte sie hören? Wir hatten keine Ahnung. Schallendes Gelächter, als sich auf Nachfrage und nach Ansingen verschiedener Lieder herausstellte, dass sie das für sie typische deutsche Weihnachtslied „Stille Nacht, Heilige Nacht“ hören wollte.
Weihnachten in der Familie wurde ganz traditionell, wie man es sich bei Italienern vorstellt , gefeiert: gemeinsam kochen und essen und erzählen, den ganzen Weihnachtstag lang.Wir gingen lieber Krippen schauen und machten uns einen Spaß daraus, möglichst viele gesehen zu haben, große – wie auf der Spanischen Treppe eine Krippe mit fast lebensgroßen Figuren – oder kleine in den Kirchen der Gassen, wo jede mit ihrer Krippe aufwarten konnte – einfach oder verspielt, oft im neapolitanischen Stil mit Menschen dargestellt, wie sie noch immer in den Dörfern lebten.
Auch heute heißt es wieder überlegen, wie Weihnachten in der Familie gefeiert werden soll.
Die Zeit bis dahin gestalten – Geschenke aussuchen …
Wie oft bin ich fast zu spät daran, sie zu verschicken. Und wie gut, dass meine Freundin die italienischen Gepflogenheiten kennt. Ihr macht es nichts aus, wenn sie ihr Geschenk erst nach Neujahr bekommt.
In Italien bringt die Befana, die gute Hexe, am Dreikönigstag die Geschenke für die Kinder – und die gingen damals in Scharen nach S. Maria in Aracoeli, fein herausgeputzt: die kleinen Jungen im Anzug mit Fliege und die kleinen Mädchen mit Schleifchen am Mantelkragen, um hoch oben von der Kanzel keck und altklug Ansprachen an das Bambino Gesú zu halten, unter den wohlgefälligen Blicken ihrer Eltern und Großeltern und mit reichlich Applaus bedacht. Bei den vielen lebendigen bambini wurde sogar die Hauptattraktion dieser Tage, das kleine Bambino Gesú, eine mit viel Perlen- und Goldschmuck behängte alte Holzfigur, zur Randerscheinung. Das wundertätige Jesuskind wurde in der Zwischenzeit bereits zweimal gestohlen und trotz hoher Belohnung nicht wieder zurückgegeben, so dass man es einfach durch ein neues hölzernes Krippenkind ersetzte.
So ist also überall Weihnachten. Zuviel Weihnachten?
Liebe Frau Fernekeß,
vielen Dank für Ihren facettenreichen Weihnachtstext. Nicht »zuviel«, denke ich beim Lesen, eher »so viel«. Denn Sie betonen doch vor allem die Vielfalt des Festes, die Lebendigkeit, die es nicht immer hat, aber haben kann. Süßigkeiten werden zur Nebensache, wenn das Tanzbein geschwungen wird! Von dieser Fröhlichkeit möchte man sich eine Scheibe abschneiden. Der Überfluss muss eben auch auf die rechte Art genommen und genossen werden.
Ich wünsche Ihnen also in diesem Jahr ein fröhliches und möglichst buntes Weihnachtsfest, so »bunt« wie Ihr Text in Schwarz auf Weiß.
Herzlich,
Stefan Kappner
P.S.: Ein Schreibtipp fällt mir noch ein: Längere, eher aufzählende Texte wie der Ihre wirken noch mehr als Einheit, wenn außer dem übergeordneten Thema (hier: Weihnachtsbräuche) auch ein konkretes Detail als »Leitmotiv« verwendet wird. Wenn zum Beispiel ein bestimmter Gegenstand, vielleicht eine Flöte oder ein rotes Band oder ein Apfel, in den geschilderten Szenen immer wieder auftaucht.