(Diese Idee stammt von Anneliese Wohn. Ich danke für die Gelegenheit, sie hier zu veröffentlichen.)
Auf den Friedhöfen der deutschen Nordseeinseln Amrum und Föhr stehen »sprechende Grabsteine«. Diese »Denkmäler« (so sind sie teilweise beschriftet) erzählen vom Leben der Verstorbenen, zählen also außer dem Namen nicht allein Geburts- und Sterbedatum auf. Waren es Männer, findet sich auf den Steinen häufig ein Berufs-Symbol, wie oben im Bild ein Schiff für Kapitän Wilhelm Tönissen. Bei Frauen findet man Blumen, die für das Paar und die Kinder stehen, die Blüten von Töchtern unterscheiden sich von denen für Söhne. Ist eine Blüte abgeknickt, verstarb das Kind vor den Eltern.
Die Biografien der Verstorbenen geben Auskunft über Ehe und Kinder, Berufe und erzählen ab und an von besonderen Lebensumständen. Hier ein recht ausführliches Beispiel von der Insel Amrum, für das der Bildhauer auch die Rückseite des Grabsteins benötigte:
Neben diesem Stein modern die Gebeine des wohledlen seel: Hr Capitains HARCK NICKELSEN.
er war gebohren d. 12 Oct. 1706 zu eben der Zeit wie sein Vater auf dem Meer verunglückte. Im 12then Jahr seines Alters fing er an sein Brodt bey der Schiffahrt zu suchen. Ao. 1724 erlitte er die Wiederwärtigkeit, von den türckischen Seeräubern gefangen und an den Bay von Algier verkauft zu werden, welche er 3 Jahr dienete nach welcher Zeit er ihm aus Güte seine Freiheit durch die Purtogiesen erkauffen liess, suchte nachgehends in Holland und Copenhagen sein Glück am letzten Ort gelang es ihm, als Capitain ein Schiff auf Westindien und der Küste von Guinea zu führen.
Ao. 1737 trat er in der Ehe mit der tugendhaften Frauen, MATIJE HARCKEN, eine Tochter des hierneben rugenden seligen Schiffers OLUF JENSEN. Gott segnete seinen Beruf so erwünscht, daß er in seinen besten Alter schon hinlänglichen Vorraht vor die Zukunft hatte, welche er in einer vergnügte Ehe, mit einem christlichen und stillen Wandel, sich mit den seinigen zu Nutze machte, bis Ao. 1770 24. May er mit seinen Vätern, in einem Alter von 63 Jahre, 78 Monath und 12 Tage entschlummerte.
Schreibidee #18: Schreiben Sie die nach dem Vorbild der sprechenden Grabsteine eine Grabinschrift für eine verstorbene Person, die Ihnen wichtig war.
Hinweis: Mehr über die Tradition der sprechenden Grabsteine finden Sie auf Wikipedia, hier und hier.
[Wie immer fände ich es toll, wenn Sie Ihren Text zu dieser Schreibidee unten in die Kommentarbox kopieren würden. Damit geben Sie zugleich Ihr Einverständnis für die Veröffentlichung auf diesen Internetseiten. Ich wünsche Ihnen viele Leser — und reichlich hilfreiches Feedback.]
6 Antworten zu “#18 — Sprechende Grabsteine”
Interessant, dass auf den Gräbern von Männern oft ein Berufs-Symbol zu finden ist, wo hingegen bei Frauen ein Blumen-Symbol für das Paar und die Kinder ist. Ich möchte für einen verstorbenen Verwandten einen Grabstein kaufen. Hoffentlich finde ich dafür einen zuverlässigen Kontakt für Grabsteine.
Die Idee, Grabsteinen mehr Informationen über die verstorbenen Personen entnehmen zu können, als nur den Namen und das Geburts- und Sterbedatum gefällt mir wirklich gut. Vielleicht werden sprechende Grabsteine ja irgendwann keine Seltenheit mehr sein. Für mein eigenes Grabmal fände ich die Idee jedenfalls ausgezeichnet.
Ich finde es ansprechend, wenn die Biographien der Verstorbenen auf den Grabsteinen stehen. Dies gibt einem die Möglichkeit den Charakter des Menschen anhand wichtiger Ereignisse in seinem Leben zu fassen. Vielen Dank für diesen Beitrag zur Gestaltung eines Grabsteins.
Schöne Gestaltung der Grabsteine auf Amrum und Föhr. Ich finde die Idee, den Lebenslauf kurz und prägnat auf den Grabstein zu schreiben eigentlich ziemlich gut. Nur den Namen und die Lebzeit finde ich persönlich relativ langweilig. Vielen Dank für diese Anregung!
Vielleicht eine Tradition, die sich wiederaufnehmen ließe? In jüngster Zeit sehe ich häufiger Grabsteine mit Fotografien, wie es sie schon länger in Italien gibt. Warum nicht Grabstein-Biografien? Technisch wären sie heute wohl leicht herzustellen. Grabinschriften sollten jedoch sorgfältig und mit Bedacht getextet werden, nicht ohne intensive Auseinandersetzung mit der Lebensgeschichte des Verstorbenen. Eine verantwortungsvolle und interessante Aufgabe für Biografen.
Danke für die sprechenden Grabsteine! Sehr interessant ist es zu lesen, worüber uns der Stein erzählt. In solchem Augenblick spürt man den Atem der Zeit, als ob der Menschen lebendig vor den Augen entsteht, weil jede Kleinigkeit uns in eine andere Zeit versetzt. Danke für den interessanten Hauch der Zeit!