Ein Dialog in wörtlicher Rede charakterisiert eine Situation oft besser, als eine aufwändige Beschreibung es könnte. Außer dem, was tatsächlich gesagt wird, transportiert Rede und Gegenrede die Stimmungen der Beteiligten, ihre soziale und vielleicht regionale Herkunft, Charakter und die Beziehung der Gesprächspartner zueinander. Vieles bleibt auch ungesagt, »zwischen den Zeilen«, und wird von den Lesern, die allesamt in solchen Situationen geübt sind, trotzdem verstanden. Allzu große Ausführlichkeit und Eindeutigkeit wirkt ermüdend, das Ungesagte zu »entschlüsseln« macht Spaß. Besonders geeignet sind Dialoge zur Darstellung von Konfliktsituationen, Missverständnissen und von Komik.
Hier ein Beispiel aus »Die Asche meiner Mutter« von Frank McCourt (Luchterhand Verlag, MÜnchen 1996):
Was ist das denn? sagt Mr. McCaffrey. Nehmen wir es hier vielleicht mit der Wahrheit nicht so ganz genau?
Ich weiß nicht, Mr. McCaffrey.
Little Barrington Street. Das ist eine Gasse. Warum nennst du sie eine Straße? Du wohnst in einer Gasse, nicht in einer Straße.
Sie wird aber allgemein Straße genannt, Mr. McCaffrey.
Erhebe dich nicht über deinen Stand, Junge.
Das würde ich nie tun, Mr. McCaffrey.
Du wohnst in einer Gasse, und das bedeutet, daß du nirgendwohin kannst, außer nach oben. Verstehst du das, McCourt?
Ja, Sir.
Du bist Fleisch vom Fleische der Gassenjungen, McCourt.
Ja, Mr. McCaffrey.
Dir atmet die Gasse aus jeder Pore. Vom Scheitel deines Schädels bis zur Kappe deines Schuhs. Versuche nicht, die breite Öffentlichkeit irrezuführen, McCourt. Da müßtest du schon reichlich früh aufstehen, um Menschen meines Schlages hinters Licht zu führen.
Das würde ich nie tun, Mr. McCaffrey.
Kaum jemand kann sich an den genauen Wortlaut von Gesprächen erinnern, höchstens an einzelne Wörter oder Redewendungen. Im biografischen Schreiben ist es deshalb »erlaubt«, das heißt es widerspricht nicht der Forderung nach Wahrhaftigkeit, den Wortlaut zu »erfinden«, solange der Verlauf des Gesprächs, Inhalt und Stimmungen, so wiedergegeben werden, wie es der Perspektive der Schreibenden entspricht. Denn jeder Leser weiß: Wirkliche mündliche Dialoge sind meistens sehr lang, voller »Ähs«, »Ohs« und Wiederholungen. Darauf verzichtet er gerne und lässt den Schreibenden die Quintessenz aus dem Gesagten ziehen.
Schreibidee #24: Schreiben Sie einen kurzen Dialog zwischen Ihnen und einem Dialogpartner, nach dem Muster
Ich:
X:
Ich:
und so weiter, ohne weitere »Regieanweisungen«.
Hinweis: Verzichten Sie zur Übung auch auf Einleitungssätze oder abschließende Bemerkungen außerhalb des Dialogs. Der Wortwechsel sollte so gestaltet sein, dass der Leser die Situation auch ohne weitere Erklärungen erfasst. Vielleicht sind Sie erstaunt, wie gut das möglich ist.
[Wie immer fände ich es toll, wenn Sie Ihren Text zu dieser Schreibidee unten in die Kommentarbox kopieren würden. Damit geben Sie zugleich Ihr Einverständnis für die Veröffentlichung auf diesen Internetseiten. Ich wünsche Ihnen viele Leser — und reichlich hilfreiches Feedback.]
Eine Antwort zu “#24 — Wortwechsel”
„Hi Jake, wie geht’s?“ „Schlecht“ „Oh, was ist denn?“ „Ach, Mädelskram“ „So schlimm?“ „Ja“ „Ach Jake, es ist noch nicht aller Tage Abend.“ „Doch.“ „Ach, komm, lass uns erst mal was essen, vielleicht geht’s dir dann besser.“ „Soll ich vielleicht den Topf leer machen?“ „Nein, das sollst du nicht, aber vielleicht möchtest du es. Ich hab noch ein paar Frikadellen. Ich kann sie dir holen.“ „Ja, gerne.“ „Hm – du hast Recht, jetzt geht es mir besser.“