Besonders zu Beginn eines autobiografischen Projekts ist es gut und sinnvoll, das gelebte Leben als Ganzes ins Auge zu fassen und ein Verhältnis dazu zu suchen, eine eigene Sichtweise, die vom Schema des »Lebenslaufs« abweicht.

In seiner wunderbaren, sehr kurzen und präzisen Autobiografie »Die Erinnerungen sehen mich« schreibt Tomas Tranströmer (Literaturnobelpreis 2011):

»Mein Leben«. Wenn ich diese Worte denke, sehe ich einen Lichtstreifen vor mir. Bei näherer Betrachtung hat der Lichtstreifen die Form eines Kometen, mit Kopf und Schweif. Das lichtstärkste Ende, der Kopf, sind die Kindheit und das Heranwachsen. Der Kern, sein dichtester Teil, ist die sehr frühe Kindheit, wo die wichtigsten Züge in unserem Leben festgelegt werden. Ich versuche, mich zu erinnern, versuche, dahin vorzudringen. Aber es ist schwer, sich in diesen verdichteten Bezirken zu bewegen, es ist gefährlich, ein Gefühl, als käme ich dem Tode nahe. Weiter hinten verdünnt sich der Komet — das ist der längere Teil, der Schweif. Er wird immer spärlicher, aber auch breiter. Ich bin jetzt weit im Kometenschweif drinnen, ich bin sechzig Jahre alt, da ich dies schreibe.

Walter Benjamin hat den Begriff des »Denkbildes« geprägt, der mir gut zu dieser Art der autobiografischen Betrachtung zu passen scheint.

Schreibidee #26: Woran denken Sie bei den Worten “Mein Leben”? Finden Sie für diesen Gedanken oder dieses Gefühl ein »Denkbild«. Schreiben Sie dann einen kurzen Text, der mit den Worten beginnt: »Mein Leben: Bei diesen Worten denke ich an …«

Beispiele: In einer Schreibwerkstatt kamen im Anschluss an Tranströmers Text viele ganz unterschiedliche Denkbilder/Metaphern/Themen zur Sprache. Das Leben als Luftballon, als See, als Sammlung von Tätigkeiten und Aktivitäten, als eine Schublade, als geheimnisvolle Tiefe der Erinnerung und vieles mehr.

P.S.: Das Bild zeigt den Kometen ISON, aufgenommen 2013 von der NASA.

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