Ich war im zweiten Semester und stand irgendwo, sicherlich mit einem Plastikbecher Kaffee in der Hand, auf den Gängen der »Philfak«, als das Gespräch auf unsere Kommilitonen kam. Den einen, der noch auf Promotion studierte und seit Urzeiten den stets gleichen Sitzplatz in der kleinen Bibliothek einnahm. Den begabten Zahnarzt, der sich mehr noch als für Kant für neue Geschäftsideen interessierte. Die begeisterten Anhänger eines kauzigen Altprofs, dem zu Leb- und Wirkzeiten eine eigene Ausstellung gewidmet werden sollte.
Da erzählte jemand von einem Studenten, von dem er bisher zwar bloß gehört habe. In mehreren Proseminaren sei er durch schlimmes Pfälzisch aufgefallen. Meine Güte, was man sich in diesem Fach alles anhören müsse!
Ich verstummte. In den folgenden Wochen übte ich, laut deklamierend, das »c-h« vom »s-c-h« zu scheiden, tat meiner Zunge Gewalt an, mochte mich selbst nicht mehr hören, war mein eigener Logopäde — bis ich halbwegs hochdeutsch klang.
So können Worte wirken, die andere über einen sagen. Auch, und vielleicht im besonderen Maße, wenn sie nicht für die eigenen Ohren gedacht sind.
Auch Tomas Tranströmer ist eine solche »indirekte Rede« im Gedächtnis geblieben (aus: »Die Erinnerungen sehen mich«):
Bo erzählte, das erstemal habe er über mich sprechen hören, als er in einer Pause an ein paar meiner Klassenkameraden vorbeikam. Sie hatten gerade schriftliche Arbeiten zurückbekommen und waren unzufrieden mit den Zensuren. Bo hörte die gereizte Replik:
»Schließlich können ja nicht alle so SCHNELL schreiben wie Trana!«
Bo entschied, »Trana« sei ein abscheulicher Kerl, dem man aus dem Weg gehen müsse. Für mich ist diese Geschichte in gewisser Weise tröstlich. Jetzt für mangelnde Produktivität bekannt, galt ich damals offenbar als Vielschreiber, als einer, der durch allzu große Produktivität sündigt, […]
Schreibidee #31: Schreiben Sie über das, was ein anderer über Sie gesagt hat. Beschreiben Sie die Situation, in der es Ihnen zu Ohren kam, und die Wirkung, die die Worte auf sie hatten.
Impulsfragen: Wie wirkten Sie in den Augen der anderen? Was sagten sie über Sie, wenn es nicht durch den Filter der Höflichkeit ging? Wie groß war die Differenz zwischen Selbst-Bild und Fremd-Bild, die Ihnen dadurch zu Bewusstsein kam? Was halten Sie von Feedback? Was motiviert(e) Sie stärker: Lob oder Tadel?
[Wie immer fände ich es toll, wenn Sie Ihren Text zu dieser Schreibidee unten in die Kommentarbox kopieren würden. Damit geben Sie zugleich Ihr Einverständnis für die Veröffentlichung auf diesen Internetseiten. Ich wünsche Ihnen viele Leser — und reichlich hilfreiches Feedback.]
2 Antworten zu “#31 — Was jemand anderes über mich sagte”
Es war in meinem Sabbatjahr. Ich war 53 Jahre und hatte mir eine Auszeit im Beruf gegönnt. In dieser Zeit reiste ich durch Italien, von Rom, Venedig, von Sizilien über die Amalfiküste, die Emilia langsam wieder nach Hause.
Im März lebte ich in Sizilien, in Cefalú. Dort besuchte ich einen Sprachkurs. Wir waren acht Frauen, sechs davon deutlich jünger als ich, zwischen 18 und 24 Jahre. Alter war nie ein Thema zwischen uns. Wir machten viel gemeinsam, lernten die Sprache mehr oder weniger schnell. Wir machten gemeinsame Ausflüge in die Umgebung und zu den historischen Orten der Insel. Wir trafen uns auf einen Aperitivo oder zum gemeinsamen Essen. Nur eines machte ich nicht mit: Ich ging nicht abends an die Treffpunkte im Ort, wo sich die jungen Italiener mit den gleichaltrigen Italienerinnen und jungen Touristinnen zum Flirten trafen.
Nach 14 Tagen ging der Kurs zu Ende und wir verabschiedeten uns voneinander. Dabei sagte eine zu mir: Anneliese, wenn alt werden so ist, wie Du bist, dann habe ich keine Angst mehr davor.
Ich schluckte. Ein wunderschönes Kompliment. Aber auch ein Verweis darauf, dass mein Platz ein anderer war, dass ich nicht mehr zu den Jungen gehörte.
Es war noch gar nicht so lange her, dass ich im Hinblick auf eine andere „alte“ Frau gedacht hatte: So möchte ich im Alter sein.
Liebe Anneliese, danke für diese präzise Schilderung. Sie lenkt meine Aufmerksamkeit auch auf das Thema Komplimente, die wohl häufiger als “soziale Platzanweiser” wirken.
Am Ende von Kursen und Seminaren gibt es häufig auch Feedback-Runden, und jede*r, der*die damit zu tun hatte, weiß wie schwer es oft ist, aus dem Gesagten mehr als eine allgemeine Stimmung herauszulesen.