In Heft 43/2018 des Magazins der Süddeutschen Zeitung wurden Musiker*innen nach den Klängen und Geräuschen gefragt, die sie als Kinder hörten und die (vielleicht) ihre Musik bis heute prägten. »Jede Kindheit hat einen eigenen Klang«, postuliert die Süddeutsche. Manche der Erzähler stammen aus Musikerfamilien und wurden mehr oder weniger bewusst in die Welt der Klänge eingeführt. Klaviermusik und Orchestergraben. Andere erzählen von profaneren Geräuschen und Liedern, wie die Sängerin Mieze Katz:
Ich bin auf einem Bauernhof in Berlin-Pankow groß geworden, in einem kleinen Holzhaus, das umgeben war von Feldern und Wäldern. […] Denke ich an das Haus, höre ich meine nackten Kinderfüße auf dem gemusterten Steinboden in der Küche und erinnere mich an die Weihnachtszeit mit meiner Mama. Wir haben jedes Jahr gemeinsam Lebkuchen gebacken und ganz viel gesungen: »Hejo, spann den Wagen an. Denn der Wind treibt Regen übers Land«. Wenn ich im Ferienlager war und Heimweh hatte, telefonierte ich mit ihr, und wir sangen den Kanon zusammen. Der hat mich an die Hand genommen und getröstet.
Die berühmte Violonistin Anne-Sophie Mutter erzählt vom Rauschen »des Windes in den Tannenwipfeln« im Schwarzwald, der Soulsänger Aloe Blacc von »Düsenjets, die mit einer enormen Geschwindigkeit am Himmel vorbeiziehen und dabei ein dröhnendes Geräusch machen: So klang meine Kindheit.«
Schreibidee #35: Erzählen Sie von den Geräuschen und Klängen Ihrer Kindheit.
[Wie immer fände ich es toll, wenn Sie Ihren Text zu dieser Schreibidee unten in die Kommentarbox kopieren würden. Damit geben Sie zugleich Ihr Einverständnis für die Veröffentlichung auf diesen Internetseiten. Ich wünsche Ihnen viele Leser — und reichlich hilfreiches Feedback.]
P.S.: Vielen Dank an Anneliese Wohn, die mir den Artikel aus der Süddeutschen zuschickte.
2 Antworten zu “#35 — Klänge der Kindheit, laute und leise”
Liebe Frau Wohn, vielen Dank für diese klangvolle Stille. In solchen Momenten fühle ich mich wie eingeladen von der Welt.
Die Vermieterin hatte mir den Weg in den nächsten Ort beschrieben. „Aus dem Haus links auf die Straße und dann gleich wieder links in den befestigten Weg. Am Ende des Weges gehen Sie nach rechts und immer die Straße lang bis zum Bäcker auf der rechten Seite.“
Am Abend zuvor war ich denselben Weg schon einmal gegangen. Ich war spät auf der Insel angekommen, die Geschäfte zu und ich hungrig. Nun verließ ich das Haus, um mir das Notwendigste für mein Frühstück einzukaufen.
Als ich von der Straße in den befestigten Weg einbog, umfing mich sonntägliche Stille. Rechts und links lagen eingezäunte große Wiesen. Der Weg war auf der einen Seite von Bäumen eingerahmt auf der anderen Seite von Büschen. Auf den Wiesen grasten Pferde, Vögel zwitscherten in den Bäumen und Bienen summten in den Blumen am Wegesrand. Kein Auto war zu hören.
Auf einmal war ich in dem Ort meiner Kindheit: Es ist Sonntag um die Mittagszeit. Ich gehe auf der Hauptstraße, auf der kein Auto fährt. Es ist Sommer. Aus den offenen Fenstern höre ich das Geklapper von Geschirr, das aufgetragen oder abgeräumt wird. Ich höre die Leute miteinander sprechen, ohne dass ich es verstehe. Nicht wichtig genug, um genauer hinzuhören. Auf den Feldern in der Ferne zieht ein Traktor seine Bahnen. Bienen summen um mich herum, die Vögel schweigen.
Es sind diese Geräusche, diese besondere Stille, die ich seit jener Zeit mit dem Begriff der Mittagsruhe verbinde.