Die längste Zeit unseres Lebens betrachten wir unsere Eltern allein in der Rolle, die sie für uns haben. Wir sehen sie als »meine Mutter« oder »meinen Vater«, weniger als Armin Steinbrückner oder Larissa Huber, geboren in jener Stadt, zu jener Zeit. Mit anderen Worten: Es gelingt uns kaum, sie so zu sehen, wie wir gerne gesehen werden, nämlich als eigenständige Personen.

Darum ist es eine spannende Übung, sich  in eine Zeit zurück zu versetzen, in der es uns noch nicht gab. Als »meine« Mutter noch keine war, sondern ganz unabhängig (und unbelastet) von mir existierte.

Auch diese Schreibidee habe ich (wie #19) aus dem Band »Frauen und Kleider« von Leanne Shapton, Sheila Heti und Heidi Julavits (S. Fischer Verlag, 2015). Obwohl es nur am Rand um Kleider geht. Statt dessen forderten die Autorinnen Frauen dazu auf, ein Foto von ihrer Mutter heraus zu suchen, das aus einer Zeit stammt, bevor sie Kinder hatte, und zu beschreiben, was sie sahen. Manche Texte in dem genannten Buch sind wenige Zeilen lang, andere füllen eine ganze Seite und beschreiben nicht nur, was auf dem Foto zu sehen ist, sondern die halbe Lebensgeschichte der Mutter. Hier ein Beispiel von S. 291 (es gehört nicht zum obigen Foto):

Dieses Foto hat mich in sechs verschiedene Städte und ebenso viele Wohnungen begleitet, deswegen sieht es viel älter aus, als es ist, aber das gefällt mir irgendwie. Es wurde in den 70er Jahren in North Carolina aufgenommen, und ich finde, man erkennt an der Art, wie sie den Schneeball in der Hand hält, dass meine Mutter zum ersten Mal mit Schnee zu tun hat (sie wuchs in Panama City in Florida auf). Sie wirkt glücklich und gesund. Das war, bevor sie Kinder oder einen Ehemann hatte und bevor sie sich entschloss, Krankenschwester zu werden. Damals lebte sie auf einem Bauernhof und war mit einem Typen zusammen, der in seinem Auto Bienen züchtete. Mir gefällt ihre Cabanjacke aus Cord und der Mittelscheitel. (Mary Mann)

Schreibidee #37: Suchen Sie eine Fotografie Ihrer Mutter heraus, das vor Ihrer Geburt (und der Ihrer Geschwister) entstand. Beschreiben Sie es ausführlich.

Hinweis 1: Nehmen Sie sich alle Freiheiten. Sie können nur von dem ausgehen, was auf dem Bild zu sehen ist, oder sie beschreiben Ihre Gefühle, wenn sie es betrachten. Erzählen sie von dem, was Sie vom Leben Ihrer Mutter in den Zeiten wissen, in denen die Fotografie entstand.

Hinweis 2: Natürlich können Sie auch ein Foto Ihres Vaters heranziehen, um sich mit seinem Leben auseinanderzusetzen.

[Wie immer fände ich es toll, wenn Sie Ihren Text zu dieser Schreibidee unten in die Box kopieren würden. Wenn Sie möchten, können Sie das Foto dazu an mail@biographie-service.de schicken. Damit geben Sie zugleich Ihr Einverständnis für die Veröffentlichung auf diesen Internetseiten.]