Die Sprache wandelt sich — und wir wandeln mit. Was vor einigen Jahren noch undenkbar war, lässt sich mit Hilfe eines passenden Worts nicht nur denken, sondern auch aussprechen: »Klimawandel«, »gendern« oder das so geläufig gewordene »speichern« sind Beispiele. Andere Wörter werden kaum noch genutzt und zeugen von vergangenem Wissen und Glauben. Natürlich hat auch das biografische Relevanz.
Anlass für diese Schreibidee ist ein Büchlein, auf das mich eine Leserin der »Biografischen Starthilfe« aufmerksam machte: »Das schönste deutsche Wort. Liebeserklärung an die deutsche Sprache« (Herder spektrum, 2005), herausgegeben von der ehemaligen Verfassungsrichterin Jutta Limbach. Als Vorsitzende des deutschen Sprachrats begleitete Limbach einen entsprechenden Wettbewerb. Die Einsender sollten ein Wort benennen und dafür eine entsprechende, natürlich subjektive (und das heißt: biografische) Begründung liefern.
Fernweh
Dieses Wort ist für mich das schönste deutsche Wort, weil es das Wort ist, das ich lebenslang gesucht habe. Bis ich angefangen habe, Deutsch zu lernen, habe ich dieses Gefühl nicht benennen können. Es ist komisch, etwas zu spüren und kein Wort dafür zu haben.
Cristina Cubeiro-Becerra, Spanien (Einsendung im Wettbewerb “Das schönste deutsche Wort”
Das Wort, das meine Leserin zum Anlass nahm, die bezaubernde Wörter-Anthologie zu erwähnen, war »erinnern«
erinnern
Er-innerung — ein gutes deutsches Wort. Da wird etwas Äußeres nach innen geholt, es wird innerlich, erinnerlich. So ist es auf neue Weise wieder da: im Innern.
Christoph Hönig, Deutschland
Was Vergangenheit war, wird so im Innern wieder Gegenwart. Man kann es innerlich anschauen, sich daran freuen, […]
Das Wort »erinnern« heißt aber zudem […], jemanden aufmerksam machen. Da bleibt es also nicht im Innern, sondern es wird aus dem Innern hervorgeholt und einem anderen Innern mitgeteilt: Sprache gibt die Zeit zurück — im Erinnern.
Nun entdecke ich in meinem Regal noch ein anderes Buch, das zum Thema passt:
Der »Wortfriedhof« des Dudenverlags (Berlin, 2013) ist Wörtern gewidmet, »die uns fehlen werden«. Das heißt wohl, sie waren einmal schön, werden jetzt jedoch nicht mehr verwendet. Warum? Meistens weil die Welt, von der sie erzählen, nicht mehr da ist. Aber wir können uns daran erinnern.
Hasenbrot, das: für die Reise oder die Arbeit als Proviant mitgenommenes, aber nicht verzehrtes und trocken gewordenes Brot.
Sommerfrische, die: (Besitzung für den) Erholungsaufenthalt im Sommer auf dem Land, an der See, im Gebirge.
Schreibidee #52: Wählen Sie Ihr Lieblingswort und schreiben Sie dazu eine kurze Begründung.
Hinweis: Es muss nicht unbedingt deutsch sein.
8 Antworten zu “#52 — Ein schönes Wort”
WEITERGEBEN
Gleichwertig mit dem Wort GEHEN steht nun dieses Wort in meinem Leben:
Meine PC-, Tablet- und Smartphone- Kenntnisse gebe ich an Senior*innen weiter, meine beruflichen Fähigkeiten (u.a. Seminare leiten) an ehemalige Arbeitskolleg*innen, meine Qi-Gong-Kenntnisse bei jeder Gelegenheit, die sich mir bietet. Weitergeben macht mich nicht arm, sondern erfüllt meinen Alltag mit Sinn, Zufriedenheit und Dankbarkeit.
Weiter-GEHEN und WEITERGEBEN sind mir wichtige Säulen in der derzeitigen Lebensphase.
WEHMUT
Wehmut ist für mich das Wort, das in die Reihe der schönen Wörter gehört. In diesem Wort stecken zwei das Weh und der Mut. Wenn ich wehmütig zurück schaue, dann hat das immer etwas mit Weh zu tun, mit etwas, das ich in der Gegenwart vermisse. Und mit Mut, dem Mut, sich diesem Weh auszusetzen.
Spannend finde ich auch, dass man nie wehmütig nach vorne schaut, sondern immer nur zurück.
WEHMUT
Ich mag viele schöne Wörter, und weil ich mich heute auf dem Tiroler Jakobsweg zwischen “Landeck – Flirsch” bewege, wähle ich “GEHEN” als meinen Tagesfavoriten.
Es scheint, dass dieses Wort langsam zum Aussterben bedroht ist, werden doch ständig neue Behelfsmittel geschaffen, die dem Menschen dieses natürlichste aller Fortbewegungsmittel ersetzen wollen, und dabei ziemlich erfolgreich sind. Ich spreche hier von der letzten Version von Segways (jene ohne Lenkstange) oder den E-Rollern. Als nächstes werden wohl E-Skateboard kommen.
So bin ich noch einer der wenigen, die auf Bahnhöfen und in Büros die Stiegen benutzen, ja ich nutze dankbarer Weise jede Gelegenheit, die sich mir bietet, mich in Bewegung, ins Gehen zu bringen.
Als Schüler bin ich zweimal täglich mit den Klassenkameraden die eineinhalb Kilometer zur Schule hin und zurückgelaufen, am Sonntag haben wir mit den Eltern Ausflüge zu Fuß unternommen. Und wenn ich während des Studiums mal schlecht gelaunt war, ließ ich alles liegen und ging einfach los, und mit jedem Schritt ging es mir besser. Dann kamen die Wochenendtouren, die Trekkings im Himalaya und die Jakobswege.
“Gehen”, ich liebe dieses Wort, in all seinen Erweiterungen wie zum Beispiel begehen, weitergehen, aufgehen, ergehen, vergehen …; eine wunderbare Dynamik liegt darin. Und eines meiner liebsten Zitate ist dieses: “Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.”
Lieber Herr Auer, vielen Dank. Manchmal sind es die einfachen Wörter, die uns den Weg weisen. Ihre Vorliebe fürs Gehen kann ich voll und ganz nachvollziehen, auch wenn ich als Kind und Jugendlicher mehr mit dem Fahrrad unterwegs war 🙂 Wenn ich überlege, wie viele Menschen Probleme mit dem Gehen haben, und wie stark sie dadurch eingeschränkt sind, kann ich auch für alltägliche Wegstrecken Dankbarkeit empfinden.
Nachdem mein Verstand schon aufgrund der gewaltigen Anzahl von 300.000 – 500.000 deutschen Wörtern an seine Grenzen geraten war, suchte ich mein Lieblingswort von innen heraus.
Gefunden habe ich GNADE, welche als unverfügbares Geschenk Gottes den Weg in ein Leben in Freiheit ermöglicht. Aufgrund der Gnade Gottes kann ich nicht tiefer fallen als in Gottes Hand und gleichzeitig höre ich den Aufruf aus der Gnade heraus das Leben täglich neu zu wagen und zu gestalten. Aus dieser empfangenen Gnade heraus erwächst der Auftrag, selbst immer wieder neu Gnade in diese Welt zu tragen.
Gnade ist für mich auch ein wohlklingendes Wort, das sich mir nur ahnungsvoll erschließt – etwas Unergründliches schwingt stets mit. Schließlich steckt auch herausfordernde Spannung im Begriff: Wie kann Gott gleichzeitig gerecht und gnädig sein?
Mich hat kein Lieblingswort bewegt, aber zum Stichwort “Wortfriedhof” fiel mir das folgende Wort aus meiner Kindheit ein:
ABENDLÄUTEN
Tägliches akustisches Signal der Kirchturmglocken um 18 Uhr, das uns Kinder — in Absprache mit den Eltern — veranlasste, die Spielzeit in Feld, Wald und Wiesen zu beenden und uns auf den Heimweg zu machen. Ab und an — in die Phantasiewelt des Spiels vertieft — deutlich verspätet nach Hause kommend, mit dem Hinweis darauf, dass das Abendläuten ausgefallen sei.
Ich finde, das reicht für eine Eingabe beim Dudenverlag. Denn “Abendläuten” fehlt auf dem Wortfriedhof, wo es mit Sicherheit einen Platz verdient hätte. Oder besser noch: im Wörterhimmel.
Die Zahl der schönen Wörter lässt mir die Entscheidung schwer werden.
In der einen Minute glaube ich, das schönste Wort sei GOTTVERTRAUEN, dann schiebt sich ein WÖLKCHEN Zweifel darüber und ich spüre, das beste aller Wörter ist LEBENSFREUDE. Was soll ein Wort mehr vermögen auszudrücken? Aber WOHLFÜHLORT, GROSSFAMILIE, MEERESBRISE, WIRZEIT, DUNKELBUNT, KUSCHELKISSEN, FRIEDLIEBEND oder GÄNSEBLÜMCHEN sind auch alles Kandidaten, die sich genauso in die Reihe der Lieblingswörter stellen wie die ganz kleinen NAH und DU oder natürlich JA und GERN.
Okay, ich schubse die UNENTSCHLOSSENHEIT aus der LIEBLINGSWÖRTERLISTE raus und entscheide mich füüür … VIELFALT.