Die amerikanische Psychologin Marigold Linton erforschte das episodische Gedächtnis — und damit auch das Vergessen. Im Selbstversuch erlebte sie, wie ihre Erinnerungen an notierte Episoden allmählich verblassten. Viele Ereignisse konnte sie zeitlich nicht mehr einordnen, mehrere verschmolzen im Gedächtnis zu einem. Viele Erlebnis verschwanden so vollständig aus ihrem Gedächtnis, dass ihr die eigenen Notizen unverständlich wurden.
Hier mehr zu Lintons Forschungen.
So wie Linton geht es den meisten von uns. Doch ohne Hilfsmittel wie Stift und Papier merken wir nicht, was wir vergessen haben (sonst hätten wir es ja nicht vergessen). Darum wird uns das Vergessen erst bewusst, wenn wir mit der Nase draufgestoßen werden.
Da gibt es die vielen Dinge, die man im Alltag besser nicht vergisst. Vor allem Termine, Namen sowie grundlegende Fakten zum Leben unserer Mitmenschen (Wie heißen die Kinder der Nachbarn? Wohin fuhren die Schwiegereltern zuletzt in Urlaub?). Einige werden sich lebhaft daran erinnern, wie es sich anfühlt, eine Verabredung restlos vergessen zu haben. Wenn die Freundin unerwartet anruft — und man sich die Hand vor den Kopf schlagen möchte. »Man friert und schwitzt zugleich« — so beschrieb mir jemand dieses Gefühl.
Es kommt gelegentlich vor, dass uns etwas »aus dem Kopf fällt«. Vor allem wenn gerade viel los ist.
Dramatischer wird es, wenn man Dinge vergisst, die in der eigenen Biografie wichtig waren. Sigmund Freud sprach von »Verdrängung«, um den aktiven Ausschluss unangenehmer Vorstellungen vom simplen Vergessen zu unterscheiden.
Das Vergessen zentraler Erfahrungen in der Demenz führt bis zum Verlust der individuellen Identität oder Persönlichkeit.
Schreibidee #64: Was haben Sie einmal völlig vergessen? Schreiben Sie davon.
2 Antworten zu “#64 — Völlig vergessen”
Das Schlimme ist: Ich habe nicht etwas vergessen, also keine Gegenstand oder eine Sache, nichts was man nachkaufen könnte, nein, ich habe mich irgendwo in den letzten Jahren vergessen!! Ich habe nur noch funktioniert und fast nichts mehr getan, was mir wirklich gut tut.
Irgendwo im Laufe der Zeit bin ich gefühlt immer weniger, kleiner und ruhiger geworden. Ich habe nur noch wenige Dinge gemacht, die mir früher einmal Spaß gemacht haben. Ich hatte vergessen, dass mir viele Dinge Spaß machen, und schon fast vergessen, dass das Leben doch wunderschöne Seiten hat.
Es kostet manchmal Mut, sich wieder an vergessene Dinge heranzuwagen und neu auszuprobieren, aber ich denke es lohnt sich.
Vergessen
Im Jahr 1992 verbrachte ich einige Monate in Paris. In meiner freien Zeit durchstöberte ich die Großstadt, und schoss dabei mit meiner Spiegelreflexkamera manches Foto; es gab so viele Motive, ich musste wählerisch sein.
Zurück in der Heimat, trug ich die Rollen gleich zum Entwickeln ins Photogeschäft, und erfreute mich nach ein paar Tagen an den gelungenen, emtionsgeladenen Fotos.
Zu meiner Verwunderung fehlten einige besonders wertvolle Motive; werde ich schon was falsch gemacht haben.
Nach ein paar Monaten holte ich die Kamera wieder hervor, diesmal ging es um eine Wanderung durch die Toskana. Wie ich eine Rolle einlegen wollte, stellte ich fest, dass noch eine darin war und noch fünf Klicks gemacht werden konnten. “Aha, da werden sich noch die letzten Motive von Paris befinden“, und an vier fünf, die mir besonders wichtig waren, erinnerte ich mich noch.
Ja, wie ich nach ein paar Wochen die Fotos in der Hand hielt, konnte ich die entsprechenden Momente nochmals durchleben, vor allem das Verweilen am Grab von Serge Gainsbourg und am Grab von Jean Paul Sartre auf dem Friedhof Montparnasse, an jenem von Jim Morrison und von Edith Piaf auf dem Friedhof Père Lachaise.
Gerade weil ich die Filmrolle im Gerät vergessen hatte, konnte ich mich wieder des Aufenthalts in Paris erfreuen.