Das Internet ist voller Sprüche: Überall Lebensweisheiten, die mehr oder weniger gut zur eigenen Situation und den eigenen Bedürfnissen passen, literarische Bonmots und Aphorismen, Wortwitze, flapsigen Pointe. Was ist Ihr Lieblingsspruch?
Im Zen-Buddhismus gibt es die Tradition des Kōan, einer Sentenz oder eines Sinnspruchs, der den Zen-Schülern zur Meditation aufgegeben wird. Das bekannteste ist die Frage nach dem Geräusch einer einzelnen klatschenden Hand. Was für Dritte unverständlich scheint, entfaltet Sinn und Wirkung, wenn es genau zur Person und dem Erkenntnis-Grad des Schülers passt. Anstatt zu einer Antwort (wie ein Rätsel) führt es zur Erleuchtung.
So ist es auch mit vielen Aphorismen oder Wortspielen: Was den einen kalt lässt, nimmt sich die andere zur Richtschnur für ein ganzes Leben. Eine findet den Spruch überhaupt nicht lustig, der andere kugelt sich immer wieder vor Lachen.
Ich amüsiere mich zum Beispiel regelmäßig über diesen Postkarten-Spruch, der über unserer Teeküche hängt:
Kaffee erreicht Stellen, wo Motivation gar nicht hinkommt.
Könnte ich erklären, warum ich das so witzig finde? Vielleicht schon, aber das würde Sie vermutlich nicht zum Lachen bringen.
Etwas anderes ist der Spruch in obigem Bild, der dem griechischen Staatsmann Perikles zugeschrieben* wird. Den nehme ich ziemlich ernst, und wenn ich ihn an der Kühlschranktür lese, denke ich häufig darüber nach, wo ich etwas mutiger sein könnte.
(*Ich nehme übrigens an, dass etwa die Hälfte der Internetsprüche verkürzt, aus dem Zusammenhang gerissen oder falsch zugeschrieben sind. Der geniale Marc-Uwe Kling hat aus der Idee falsch zugeschriebener Zitate eine humoristische Kunstform gemacht.)
Schreibidee #71: Zitieren Sie Ihren Lieblingsspruch. Können Sie erklären, weshalb er so stark auf Sie wirkt? Was hat er mit Ihrem Leben zu tun?
6 Antworten zu “#71 — Sprüche”
Sprüche – Lebensweisheiten – wie ‚weise‘ sind sie ?
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr
‚Wir haben Sie zu einer Computerfortbildung angemeldet‘, wurde mir mitgeteilt, als ich – ungefähr 45jährig – in meiner Firma die Abteilung und somit den Aufgabenbereich wechselte. Ein wenig bange war mir davor, schließlich sollte ich Neuland betreten und hoffte, den Anforderungen gewachsen zu sein. Mit dem ‚Hänschen‘-Spruch zu antworten, hätte mit Sicherheit verständnisloses Stirnrunzeln zur Folge gehabt. Schließlich war auch damals schon ‚lifelong learning‘ angesagt und Weiterqualifizierung für alle Ebenen des Berufslebens selbstverständliche Pflicht.
Wie sieht es mit dem Selbstbild der Generationen aus, die diesen Spruch als Drohung immer wieder zu hören bekamen, wenn es mal in der Schule nicht laufen wollte? Wie sehr hat er Selbstvertrauen beschädigt und Zukunftsängste geschürt? – Ich (zur Nachkriegsgeneration gehörend) erinnere mich deutlich an meine Teenagerzeit und die Sorge, wie lange ich noch als ‚Hänschen’ durchgehen und ab wann ich ‚Hans‘ sein, also zum alten – geistig unbeweglichen – Eisen gehören würde. Meine große Angst war, irgendwann wären ‚Hopfen und Malz verloren ‘und ich sei so verkalkt und festgefahren im Denken, dass ich als ‚hoffnungslos veraltet‘ abgestempelt würde.
Ein Körnchen Wahrheit und Lebenserfahrung liegt in den meisten dieser Sprüche. (Vielleicht in diesem Fall die Lebenserfahrung derer, die keine Lust hatten, in fortgeschrittenem Alter etwas zu lernen?) Ja – die Lernkapazität von Kindern und Jugendlichen ist deutlich größer als bei älteren Menschen, aber die Neurowissenschaften haben glücklicherweise mit Vorurteil aufgeräumt, dass es im Leben einen Tag X gebe, ab dem geistige Veränderung und Weiterentwicklung nicht mehr möglich seien. Mit diesen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen als ‚Mutmacher‘ im Hinterkopf absolvierte ich erfolgreich mehr als einen PC-Kurs und wagte mich auch an das Lernen einer weiteren Fremdsprache. Und ich hoffe sehr, dass der Satz von Hans, der nichts mehr lernen kann, endgültig in Vergessenheit gerät.
Sprüche – da gibt es viele die mich durch das Leben begleitet haben.
Da gab es das Posiealbum … in das schon die neunjährigen Schulfreundinnen kluge Sprüche schrieben. „Üb’ immer Treu und Redlichkeit bis an das kühle Grab und weiche keinen Finger breit von Gottes Wegen ab.“ oder „Willst du glücklich sein im Leben, trage bei zu andrer Glück, denn die Freude die wir geben strahlt ins eigne Herz zurück.“
„Unsere Freundschaft die soll brennen, wie ein dickes Dreierlicht. Freunde wollen wir uns nennen, bis der Molly (so hieß der Hund der kleinen Schreiberin) französisch spricht“ war da schon eine rühmliche Ausnahme in Sachen „Sinnsprüche“.
Manch einer aus der erwachsenen Verwandschaft bemühte für das kleine Mädchen schon die großen Dichter „Vom Vater hab’ ich die Statur des Lebens ernstes Führen, vom Mütterchen die Frohnatur um Lust zu fabulieren“ und verewigte mahnende Worte im Poseiealbum „Es ist ein tiefer Segen der aus dem Wort dir spricht, erfülle allerwegen getreulich deine Pflicht.“
Prägend waren auch die Weisheiten aus dem Mund der Eltern: Langes Fädchen faules Mädchen – Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen – Wer den Pfennig nicht ehrt ist des Talers nicht wert.
„Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ war nicht so tröstlich und hilfreich wie pusten auf das aufgeschlagene Knie und „Heile, heile Segen, drei Tage Regen, drei Tage Schnee, dann tut es nicht mehr weh“.
Dann kam die Zeit des „Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst …“. „Coole Sprüche“ aus der Jugendzeit sind mir jedoch nicht in Erinnerung.
Der Spruch „Alle Wege führen nach Rom“ sollte sich für mich bewahrheiten, da mein Lebensweg mich dorthin führte. Aus dieser Zeit stammt der schöne Verwechslungsspruch, mit dem eine italienische Freundin mir eine gute Zukunft mit meinem zukünftigen Mann verheißen wollte. „Ich sehe weiß für euch“ meinte sie, nachdem sie ihn kennengelernt hatte.
Später war es „in“ jeden Glückwunsch noch mit einem passenden klugen Spruch zu versehen. Khalil Gibrans „Eure Kinder sind nicht eure Kinder…“ oder auch „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ aus „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry waren oft geschriebene Zeilen.
Sprüche aus fernen Ländern standen auf den erhaltenen Spruchkarten. „Wende dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter dich.“ Und lange lag die Karte aus dem Yoga-Kurs auf dem Schreibtisch: „Ich schlief und träumte, das Leben wäre Freude. Ich erwachte und sah, das Leben war Pflicht. Ich handelte und siehe, die Pflicht war Freude.“ Mit Tagore schließt sich fast der Kreis zum Poseiealbum.
Wie viele kluge und weniger kluge Sprüche, wieviele Weisheiten und Halbweisheiten hat man mit guter und weniger guter Absicht zu hören und zu lesen bekommen. Was haben sie genützt?
Da halte ich mich doch an den biblischen Spruch „Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch.“
Liebe Helga, Danke für die Erinnerung an das Poesiealbum. Es war mir ganz aus dem Sinn gekommen. Und doch hatte dieses Poesiealbum ja eine große Bedeutung. Wer schrieb rein? Gab es nur die üblichen Sprüche oder fand sich darunter auch ein Spruch, ein Zitat, dass noch keine andere im Album hatte.
Ich erinnere mich, dass in fast jedem Album stand: Sei wie das Veilchen im Moose, edel, sittsam und rein. Nicht wie stolze Rose, die immer bewundert will sein. Oder: Lerne Ordnung, liebe sie. Sie erspart Dir Zeit und Müh. Oder die humorvolle Variante der Lebensweisheit: Lebe glücklich, lebe froh, wie der Mops im Haferstroh.
Einmal angefangen, drängen immer mehr dieser Sprüche in das Licht der Erinnerung.
Liebe Anneliese, es freut mich, dass auch bei Dir das Poesiealbum aus der Versenkung aufgetaucht ist. Der „Mops im Haferstroh“ findet sich auch in meinem Album und gefällt mir viel besser als z.B. die vielen Hinweise auf „sei wie das Veilchen im Moose, so einfach, bescheiden und rein“ oder was mir jetzt im nachhinein zu denken gibt „Bleib immer treu und edel, mit einem Wort ein deutsches Mädel“. Ich will der damaligen Schulkameradin mal zugutehalten, dass sie diesen Spruch einfach abgeschrieben hat… Dann schon lieber: Ein Häuschen aus Zucker, aus Zimt eine Tür, ein Kränzchen von Bratwurst, das wünsch’ ich dir.
Ganz spontan mal: mein Zauberspruch im
Alltag lautet:
# Glaube nicht alles ,was du denkst#
Das hilft mir oft Gedankenketten zu
unterbrechen und mich zu fragen: stimmt
das eigentlich??
Irgendwann habe ich diesen Spruch aufgeschnappt und seitdem ist er an meiner Seite……
Martina
Ich bin mit „Sprüchen“ aufgewachsen. Beim Nähen und Sticken hieß es: Langes Fädchen, faules Mädchen. Bis heute denke ich an diesen Spruch, wenn ich einen Faden in die Hand nehme, um ihn in die Nadel zu fädeln. Wozu man uns Mädchen das sagen musste, verstehe ich nicht. Ich hatte mit langen Fäden oft mehr Mühe als mit kurzen. Hatten die langen doch die Eigenart, sich leicht zu verknoten. Das heißt, mit ein wenig Übung hätte ich auch ohne diesen Spruch gelernt, die richtige Länge zu wählen.
Ein anderer Spruch traf mich regelmäßig beim Aufräumen: Ein fauler Esel trägt sich auf einmal tot. Ihn hörte ich, wenn ich mehrere Sachen auf einmal weggetragen hatte oder (zu) viele Teller auf einmal in die Hand nahm.
Oder der Spruch: Oben hui und unten pfui. Er wurde gerne im übertragenen Sinn verwendet, wenn ein Mädchen (niemals ein Junge) zwar sauber und ordentlich angezogen war, aber mit einem Jungen poussierte.
Auch erinnere ich mich noch an meine erste heilige Kommunion. Ich kam aus der Kirche, freute mich, ein Gotteskind zu sein – und vielleicht auch über die Geschenke, die ich gleich erhielt –, und pfiff fröhlich vor mich hin. „Den Vogel, der so früh singt, den holt am Abend die Katz“ hörte ich da von hinten. Und schon war die Freude wie weggeblasen.
All diese Sprüche waren Miterzieher von Eltern und anderen Erwachsenen. Sie sollten uns Mädchen auf unsere „ehrbare“ Rolle als Frauen und Mütter vorbereiten: sittsam, schicklich und rein. Von Jungs war da nie die Rede. Bei Jungs kannte ich nur den Spruch: Indianer weinen nicht. Was ihrer Entwicklung sicher auch nicht gut getan hat.
Solche Sprüche gibt es, außer in der Erinnerungen, in meinem Leben nicht mehr. Aber andere sehr wohl.
Ich habe ein kleines Büchlein, in das ich Sprüche schreibe, die ich irgendwo lese und die mir gefallen, weil ich denke, dass sie stimmen oder weil sie witzig sind. Die meisten von ihnen gelten eine Weile und werden dann von einem anderen Spruch abgelöst.
So war lange ein Lieblingsspruch von mir: Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende. Das fand ich tröstlich. Da kommt noch was. Ich bleibe nicht im momentanen Leiden oder dem momentanen Schmerz stecken.
Doch dann lernte ich Menschen kennen, in deren Leben kein gutes Ende in Sicht war. Zumindest nicht in ihrem irdischen Leben. Und ich merkte, dass dieser Spruch auch eine Art Vertröstung war.
„Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht“ von Vaclav Havel scheint mir viel besser. Zumal die Resilienzforschung den Inhalt des Satzes unterstreicht. Wenn ich dem, was ich erleide, dem was ich durchmache, einen Sinn geben kann, und das muss nicht immer ein höherer Sinn sein, dann komme ich besser mit diesen Erfahrungen klar. Das Blöde an diesem Spruch ist: meist wird es einem erst viel später klar.
„Es gibt kein Verbot für alte Weiber, auf Bäume zu klettern.“ Dieses Zitat von Astrid Lindgren gefällt mir immer wieder, zumal ich ja jetzt selbst zu den alten Weibern gehöre. Er ermutigt mich, Neues auszuprobieren, mich nicht an irgendwelchen Konventionen festzuhalten oder festhalten zu lassen.
Ein Unterschied zu den Sprüche aus meiner Kindheit und vielen Sprüchen im Internet ist, dass ich mir den Text selbst aussuche. Er wird mir nicht von anderen übergestülpt. Und ich stülpe ihn auch anderen nicht über.