Der sprichwörtliche Schulaufsatz »Dein schönstes Ferienerlebnis« hat Spuren hinterlassen, von denen ich mich erst befreien musste, als ich mich intensiv mit dem biografischen Schreiben beschäftigte. Da meine Eltern nicht in Urlaub fuhren, hatte ich wenig zu berichten. Und schon in den 1980er-Jahren waren Reiseziele Statussymbole.
Reiseerzählungen sind eine wichtige Unterart des biografischen Schreibens — wenn man sie heute, anders als in der Frühzeit des Reisens, auch nicht mehr liest, um sich überhaupt ein Bild fremder oder gar »exotischer« Weltgegenden machen zu können. Bilder gibt es zur Genüge. Doch Bücher wie Hape Kerkelings »Ich bin dann mal weg« oder Christoph Ransmayrs »Atlas eines ängstlichen Mannes« zeigen, dass Reisebücher nach wie vor ihre Berechtigung haben. Sie zeigen neue Wege auf (die, wie im Falle von Kerkelings Riesenerfolg, später manchmal breit ausgetreten werden). Sie vermitteln einen frischen Blick, stellen ein Land vor, führen zum Kern des Reisens.
Übers Reisen wird auch gerne geschrieben. Ich habe schon mehrere Reiseberichte lektoriert, und beinahe in jeder Privatbiografie finden sich Kapitel über geliebte Reiseerinnerungen. Darum habe ich in der vorletzten Reisesaison auch dieses Video erstellt.
Was ist für dich das Wichtigste am Reisen? Es gibt Bildungsreisen und Erholungsurlaube, Aktivreisen und kulinarische Reisen, Ferienlager und Vereinsausflüge, Rucksackreisen und Luxusressorts. In seinem Buch »Retroland. Geschichtstourismus und die Sehnsucht nach dem Authentischen« stellt der Soziologe Valentin Groebner die These auf, dass wir vor allem zurückreisen möchten. In unsere eigene oder die »große« Vergangenheit. Doch dabei nehmen wir unsere Gegenwart unwillkürlich mit.
Es lohnt sich, das eigene Reisen und Urlauben nicht einfach als selbstverständlich zu nehmen. Gehe den Beweggründen (!) nach, die stets mehr oder weniger biografischer Natur sind. Wenn du deine Motive kennst, kannst du auch besser entscheiden, was in der Rückschau wichtig ist. Dann schreibst du bedeutungsvollere Reiseerzählungen.
Schreibidee #85: Erzähle davon, warum du reist.
Hinweis: Auch wenn diese Frage nach einer Begründung zu verlangen scheint, geht es nicht um einen begründenden Text, einen Essay. Erzähle vielmehr eine Geschichte, die konkret verdeutlicht, was dich am Reisen anspricht und welcher Reisetyp du bist. Ohne es etwa zu rechtfertigen oder zu begründen.
Eine Antwort zu “#85 — Warum reist du?”
„Kleine Übung zum Aufwärmen: Setz’ dich in die Sonne und schreibe eine chronologische Liste aller (größeren) Weltgegenden, die du bereist hast.“ – Lieber Stefan Kappner, was für eine schöne Schreibübung, die ich für mich ein wenig abgewandelt habe.
Auch dieses Jahr werde ich nicht verreisen können und somit auch keine Ansichtskarten aus einer fernen Urlaubsgegend verschicken … da bleibt nur, anders auf Reisen zu gehen. Von der Terrasse aus, wenn das warme Lüftchen neben dem Duft von trockenem Gras auch den von Lavendel aus dem kleinen Lavendelstrauch mit seinen lila Blüten herüber weht – schon bin ich wieder in der Provence bei den blühenden Lavendelfeldern vor der Abtei Sénanque. Der heiße, süße Tee duftet nach der Minze, die ich dazu gegeben habe – der Wasserkessel auf dem kleinen Ofen in dem winzigen Café in einem der Drusendörfer im nördlichen Israel an den Golanhöhen pfeift vor sich hin und der freundliche Café-Betreiber holt extra für uns die frische Nanaminze aus dem Gärtchen vor dem Haus für den Tee, den wir bestellt haben … Der Blick schweif weiter – unsere voll erblühte dunkelrote Kletterrose duftet zwar nicht so intensiv, aber in ihrer derzeitigen Blütenpracht kann sie es aufnehmen mit den Rosen in den Gärten der Schlösser an der Loire. Das Olivenbäumchen im Topf hat dieses Jahr tatsächlich Früchte angesetzt, klein und grün hängen sie zwischen den Blättern.Was macht man damit? Pfeffrig schmeckendes Olivenöl – dafür sind es zu wenige … dazu braucht es die unzähligen Olivenbäume des Salentos im südlichen Apulien, wo die weißen Ortschaften von den Bergkuppen leuchten.
Wenn ich aktuell das brennende Griechenland sehe, dann möchte ich gerne von dem Regen abgeben, der seinerzeit über Mykene niederprasselte als wir durch das Löwentor zu den Ruinen wateten; aber in Delphi schien wieder die Sonne …
Und wenn es hier regnet – dann ziehe ich meinen Friesennerz an und laufe am Strand von Nordholland entlang, denn das Meeresrauschen fehlt mir diesen Sommer.
Und wenn die Sonne wieder scheint und ein warmes Sommerlüftchen weht – dann steige ich auf das Fahrrad und radle durch die Wetterau, entlang der Nidda, an deren Ufer manchmal ein Fischreiher steht, vorbei an abgeernteten Getreidefeldern, auf denen die Krähen die letzten Körner suchen, und an Streuobstwiesen, wo bald die Äpfel für das neue „Stöffche“, den Äppelwoi, zur Ernte reif sein werden …