»Wie konnte sie nur diese Meinung vertreten?«, »Wie konnte er das nur tun?«, »Hat sie das wirklich geglaubt?«, »Ich kann nicht verstehen, was er sich dabei gedacht hat.« — Solche Gedanken und Aussagen sind meistens rhetorisch gemeint. Anstatt verstehen zu wollen, was in dem anderen vorgeht, ziehen wir eine Grenzlinie. Konflikte verhärten sich.

Der erste Schritt zu einer Lösung könnte darin bestehen, etwas Grundsätzliches anzuerkennen: Unser Gegenüber könnte Gründe haben, die aus seiner Sicht ebenso berechtigt sind wie die eigenen. Wir verstehen sie nur nicht. Ihre Interessen könnten anderswo liegen, als wir vermuten. Die Situation könnte reziprok sein: Aus einer anderen Perspektive könnte das, was wir denken und glauben, ebenso unverständlich erscheinen.

Das (auto)biografische Schreiben sollte nicht dazu führen, dass wir uns immer stärker in unserer eigenen Welt einrichten und Fremdes als unverständlich ablehnen. Stattdessen kann es dazu beitragen, uns selbst ein wenig besser zu verstehen — und wie uns die anderen »von außen« sehen. Denn wir selbst schauen auf unser vergangenes Ich ein wenig »von außen« und versuchen, uns selbst besser zu verstehen.

Geschichten ermöglichen uns, in die Haut eines anderen zu schlüpfen. Ihre Sichtweise besser nachvollziehen und nachfühlen zu können. Fantasie und Einfühlungsvermögen helfen dabei oft mehr als Argumente.


Schreibidee #96: Schreibe über einen Konflikt in deiner Vergangenheit aus der Sicht deines Gegenübers.


Hinweise: Gab es einen Konflikt in deiner Vergangenheit, den du nicht lösen konntest? In der Familie, im Freundeskreis, auf der Arbeit, in politischen Zusammenhängen? Stelle dir vor, wie du und deine Argumente, Meinungen, Verhaltensweisen »von außen« gewirkt haben mögen. Stelle nicht alle Zusammenhänge dar, an die du dich erinnerst, sondern konzentriere dich auf einen Aspekt.