Marc Aurel beginnt seine Selbstbetrachtungen — eine Mischung aus Autobiografie und philosophischer Abhandlung — mit einer Aufzählung wichtiger Menschen, ihren Tugenden und dem, was er von ihnen lernen durfte. Es ist eine Geste der Dankbarkeit — und wem sollten wir dankbarer sein als denen, die uns zu dem verhalfen, was wir Gutes in uns finden?
Dem Rusticus verdanke ich, daß es mir einfiel, in sittlicher Hinsicht für mich zu sorgen und an meiner Veredlung zu arbeiten; daß ich frei blieb von dem Ehrgeiz der Sophisten; […] Ihm habe ich’s auch zu danken, wenn ich mit denen, die mich gekränkt oder sonst sich gegen mich vergangen haben, leicht zu versöhnen bin, sobald sie nur selbst schnell bereit sind, entgegenzukommen.
Marc Aurel
Dankbarkeit ist nicht allein eine moralische Tugend, die uns zu dieser oder jener freundlichen Handlung motiviert, sie nützt uns auch selbst. Denn sie lenkt den Blick auf das Gute in unserem Leben. Darum ist das Gefühl der Dankbarkeit so warm und angenehm, es macht uns zufrieden und gelassen.
Du kannst eine einfache Liste anlegen: »Zehn Dinge, für die ich dankbar bin«. Oder Marc Aurel nachfolgen, und deine Dankbarkeit gegenüber Menschen ausdrücken, von denen du etwas Wichtiges gelernt hast. Du kannst auch eine regelmäßige Übung daraus machen, zum Beispiel mit einer Rubrik in deinem Tagebuch oder Journal, in der du täglich etwas einträgst, wofür du dankbar bist. Die Schreibidee dient dazu, das Potenzial einer solchen Übung zu entdecken.
Schreibidee #97: Beschreibe, worüber du am heutigen Tag dankbar sein kannst.
P.S.: Diese Schreibidee wurde angeregt durch den Thanksgiving-Newsletter 2021 von Austin Kleon. Seine Bücher und Newsletter sind wertvolle Inspirationsquellen für mich — Danke dafür!
2 Antworten zu “#97 — Dankbarkeit”
Biografika – Schreibidee #97: Beschreibe, worüber du am heutigen Tag dankbar sein kannst.
Peter Kolar, 02.12.2021
Dankbarkeit fällt manchmal leicht, und manchmal ist es ein wahrhaft “schwer Ding”. Wie soll ich dankbar sein in Zeiten, in denen ich eigentlich nur noch wütend bin. Wütend, in einer Art allumfassenden Weise, die ich mir selbst kaum zu deuten mag. Auf den Virus, auf den Umgang der Menschen mit ihm, auf unfähige, selbstverliebte Politiker, auf die Globalisierung, auf den Egoismus einzelner und ganzer Länder und wütend auf mich selbst, dass ich mich nicht besser von all den Horrormeldungen abkapseln kann. Schon am Anfang der Pandemie habe ich gesagt: „Ich habe keine Angst vor dem Virus, aber davor, was der Virus aus den Menschen macht.“ An diesem Ausspruch kann ich auch nach fast zwei Jahren Corona noch festhalten.
Und doch regt sich in meinem „Hinterstübchen“ auch immer wieder ein kleiner Funke Dankbarkeit und wenn ich mutig bin, lasse ich ihn auch gerne einmal größer werden. Dann werden doch all die düsteren Gedanken ein wenig von einer helleren Strahlkraft überdeckt. Es ist dann wie ein Balsam für meinen seit vielen Jahren immer wieder von Depressionen heimgesuchten Geist.
So bin ich dankbar wenn es mir gelingt, dem ganzen Wahnsinn ein wenig mehr Pragmatismus entgegenzubringen. Dankbar bin ich für Menschen, die meine Ängste und Hoffnungen teilen, bei denen man sich mal, auf gut deutsch, „auskotzen“ darf. Ich bin dankbar, dass mir meine Frau zur Seite steht, die als Krankenschwester auch schon an der so genannten „Front“ gearbeitet hat. Von dort brachte sie den Virus wahrscheinlich mit nach Hause und da bin ich wieder dankbar, dass wir die Krankheit ohne größere Symptome überstanden haben.
Dankbar bin ich auch, dass sich in mir keinerlei Verschwörungstheorien oder Impfängste eingenistet haben und ich mich vorbehaltlos zweimal impfen lassen durfte. Auch eine Grippeschutzimpfung habe ich bekommen und geboostert werde ich bereits in der nächsten Woche.
Mehr kann ich nun von meiner Warte aus zu meinem Schutz und dem Schutz meiner Mitmenschen nicht tun. Eigentlich fühlt sich das für mich gut an, und auch dafür bin ich dankbar. Wenn mir nun Gott noch eine gewisse Gelassenheit und Demut geben möge, alle Verschwörungstheoretiker, Impfverweigerer und die hohlen Phrasen der Politiker zu ertragen, könnte ich echt zufrieden sein.
Aber das Leben bestand und besteht ja zum Glück nicht nur aus Corona. Das „Danke“ sagen, war mir in meinem 71jährigen Leben stets sehr wichtig. Es wurde mir quasi in die Wiege gelegt und von meinen Eltern vorgelebt. Trotz schwerster Schicksalsschläge wie Krieg und Verlust der Heimat, haben sie nie das Danken vergessen. Ein besseres Beispiel für Dankbarkeit kann es für mich nicht geben.
Schreibidee #97:
Beschreibe, worüber du am heutigen Tag dankbar sein kannst. 30.11.2021
Bist du geimpft? Hast du Angst oder bist du dankbar?
Jeden Tag – auch heute – begegnen sich Menschen immer noch und verzetteln sich leider dabei in Behauptungen, Urteilen und Besserwissen. Die Inhalte der Debatten über die Pandemie wiederholen sich, die Blickwinkel verschieben sich – je nach Lebensgeschichte und aktuellem Datum. Es bleibt der fade Geschmack von nicht fassbarer Gefahr und Gefährdung, von unterschwelliger Schuld und Beschuldigung. Gegensätze schüren die Angst; der Nachbar, jemand in deiner Familie kann morgen schon dein Feind sein, ein penetranter Auslöser für deine Unruhe, deine Panik.
Das alles ist vielleicht ja gar nicht so falsch. Aber sicherlich unangemessen, weil einseitig. Natürlich ist es notwendig, zum Thema Corona alle Menschen über den aktuellen Stand der Wissenschaft zu informieren und die Anstrengungen einer fragwürdigen Bewältigung fortlaufend zu beschreiben.
Denken und Sprechen verläuft meist linear. Das Sagen und Antworten provoziert den Schlagabtausch über Schwarz oder Weiß, richtig oder falsch, Du oder Ich – viel Kraft wird irrtümlich investiert in Polarisierungen…
Doch gleichzeitig zu diesem folgereichen Vorgang hat jeder von uns eigentlich auch die Aufgabe, dankbar zu sein für all das, was versucht wird, um einen Weg, eine Lösung zu finden, wie wir aus dieser für so viele Menschen lebensbedrohlichen Situation wieder herauskommen können.
Ja, ich weigere mich, diesen endlosen unergiebigen Debatten noch einen einzigen eigenen Zweifel hinzuzufügen.
Denn ich bin dankbar – jeden Tag, nicht nur heute – für dieses ernste Ringen um Lösung, das hinter all den wirren Gesetzesentwürfen und Regelungsversuchen trotzdem erkennbar ist.
Ob Politiker, Lehrer, Krankenschwester, Arzt oder Rentner, so wie ich – jeder hat viel zu tun,
das heißt jeder hat an seinem Platz aktiv zu entscheiden und zu handeln …
doch zur gleichen Zeit geht es auch darum, dass wir, ob Politiker, Lehrer, Krankenschwester, Arzt oder Rentner, etc., mit Überzeugung davon berichten, was wir sind, jeden Tag –
nämlich dankbar: dankbar für das Leben, solange wir leben.
Dankbar für ein Leben, zu dem ein Tod dazugehört.
Ich bin ein sogenanntes „Kriegskind“ und als solches dankbar dafür, dass ich – und auch wie ich – den Krieg überlebt habe. Und danach noch weitere 75 Jahre!
Ich glaube, die jüngeren Menschen heute erleben jetzt, in dieser Zeit, auch eine Art „Krieg“ – sie werden täglich geprägt durch die scheinbar sachliche Berichterstattung über Tsunamis, Erdbeben und Vulkanausbrüche, weltweite Pandemien, Gewalt und Flucht, Unterdrückung und Folter…
Victor Frankl schrieb unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg sein Buch mit dem Titel
„ …trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“…
Um dieses dankbare Ja zum Leben geht es auch heute. Weltweit.
Und auch in der „Schreibidee # 97“.
Ja. Ich sage: Danke.
urimua