Die Filmregisseurin und Autorin Doris Dörrie lehrt Angewandte Dramaturgie und Stoffentwicklung an der Filmhochschule München und gibt Workshops zum kreativen Schreiben. Ihr Buch »Leben, Schreiben, Atmen. Eine Einladung zum Schreiben« von 2019 enthält jedoch keine Regeln oder Empfehlungen zum Produzieren gelungener Texte. Es lädt vielmehr zum zweckfreien Schreiben ein: »ohne Ehrgeiz, ohne Ziel«.
Das Buch ist einfach aufgebaut: Den autobiografischen Abschnitten, in denen Dörrie über sich und ihre Erfahrungen schreibt (Momentaufnahmen, Details, Episoden), folgt jeweils eine Aufforderung, es ihr auf eigene Weise gleichzutun. Meistens werden dabei bestimmte Themen benannt und wiederholt, Fragen gestellt. Es geht um Themen der Kindheit, das Essen, das Lügen, die Verliebtheit, Musik, Verlorenes, den Mond und vieles mehr. Meist alltagsnah und eher positiv konnotiert. Gelegentlich kommt sie zurück auf die Art des Schreibens, das sie empfiehlt, und wiederholt ihr Mantra:
[…] es gibt kein Richtig und kein Falsch. Keine Fehler. Nur einen Weg: Weitermachen. Weiterschreiben. Die Hand über das Papier bewegen. Einfach weiterschreiben. Und weiter. Einfach immer weiter.
Doris Dörrie: »Leben, Schreiben, Atmen«, S. 177
Nur drei Regeln
Regeln für diese Art des Schreibens nennt sie im Buch nur drei: Man solle jeweils zehn Minuten ohne Pause schreiben, dabei nicht nachdenken und keine Fehler korrigieren, sondern sie zu- und stehenlassen. Damit folgt sie dem, was Natalie Goldberg in ihren Klassiker »Schreiben in Cafés« empfiehlt, leider ohne sie (oder andere Vorgängerinnen) zu nennen. Auch die Praxis der »Morgenseiten«, die Julia Cameron in »Der Weg des Künstlers« beschreibt, entspricht ganz diesem Programm. Es ist die lange Tradition des Schreibens zur Selbsterforschung, zur Pflege der eigenen Erinnerungen, zur Klärung von Gedanken, auch zum Loswerden kreisender Gedanken, in die sich Dörrie stellt. Ihr Verdienst ist es, mit der ihr eigenen Überzeugungskraft wieder einmal die kleinen Wunder zu feiern, die mit dieser Art des Schreibens verbunden sind.
Schreiben und Text
Die Texte, die beim »Einfachlosschreiben« entstehen, sind nicht dafür gedacht, vorgelesen oder gedruckt zu werden. Sie sind nur für den oder die Schreibende/n selbst, und nicht einmal das: Denn nicht die Texte stehen im Vordergrund, sondern der Prozess des Schreibens: Dass er gelingt, sich als heilsam und fruchtbar erweist. Ansprüche, die wir während des Schreibens an die Texte stellen, können uns daran hindern, das wahre Potential des Schreibens für uns zu entdecken.
Und doch ist ein Text eben etwas, was gelesen werden kann. Von einem selbst, aber auch vor anderen. Darum kommt bei jedem noch so zweckfreien Schreiben von Zeit zu Zeit die Frage auf, ob man nicht doch vielleicht etwas damit »machen« könnte. Ob dieser oder jener Text vielleicht »gut« sei, »interessant«, »originell«? Welche Qualitätskriterien es dafür vielleicht gebe? Alle diese Fragen klammert Dörrie aus, denn sie möchte den Schreibprozess nicht stören. Beim Lesen der autobiografischen Abschnitte, die von Piercing, Eheringen, Haus, China etc. handeln, fragt sich manche*e Leser*in aber wohl, ob sie tatsächlich auf die empfohlene Weise entstanden sein können. Jedenfalls enthalten sie, soweit ich sehen kann, keine Fehler.
Wie hängt das absichtslose Schreiben ohne Regeln mit dem professionell gebändigten Schreiben zusammen? Davon würden manche Leser*innen von der Berufsautorin Doris Dörrie wohl gerne mehr erfahren. Vielleicht im nächsten Buch.