Dieses Buch bespreche ich nicht auf biografika, weil die Autorin mir besonders zusagte oder weil ich es im Ganzen für sehr gelungen hielte, sondern allein wegen seiner interessanten Form. Vielleicht kann diese Form einigen biografisch Schreibenden als Vorbild oder Anregung dienen.
Pluhar, eine österreichische Schauspielerin, Schriftstellerin und Chansonnière, stand lange prominent in der Öffentlichkeit. Sie hat viel schon geschrieben und erzählt, auch über ihr eigenes Leben. Doch alles kommt nie zum Ausdruck. Außerdem wechseln Sichtweisen und sogar Erinnerungen mit den Jahren. Um Lücken zu füllen, sich hier und da genauer auszusprechen, Akzente zu setzen und sich zugleich mit ihrer Rolle als »öffentliche Frau« auseinanderzusetzen, bedient sie sich der Form eines fiktiven Interviews. Sie erfindet also die Figur eines Journalisten, der sie in ihrem Haus besucht, um sich ihre Lebensgeschichte anzuhören.
Das Gespräch zwischen »der Frau«, wie Sie sich nennt, und dem ebenfalls namenlos bleibenden Journalisten,, liest sich so:
Wäre es nicht aufregend, nochmals und ganz neu zu beleuchten, was gerade Ihnen als Frau widerfahren ist? fragt der Redakteur. Sie wird mir den Kopf abreißen, denkt er.
Aber die Frau schweigt. Dann dämpft sie gemächlich ihre Zigarette aus, lehnt sich zurück und sagt: Los. Knipsen Sie Ihr Gerät an.
Der überraschte Redakteur tut eilig das Befohlende.
Es kann losgehen, sagt er dann.
Was die Frau — also Pluhar — dem Redakteur erzählt, steht nun eingerückt im Text. Vor allem geht es um ihren Beruf, Schauspielerei und Musik, Momentaufnahmen der Beziehungen zu verschiedenen Männern, zuletzt auch um Politisches.
Schnell merkt man, welche Vorteile die Interview-Form der Autorin bietet:
- Pluhar muss sich weder an eine chronologische noch eine andere, thematisch motivierte Ordnung halten. Im Interview-Gespräch kann sie jeweils begründen, wovon sie jeweils als Nächstes erzählt. Sie kann sich auch selbst korrigieren, relativieren und Dinge gegenüberstellen, wie in einem Gespräch, ohne zu einem endgültigen Urteil gelangen zu müssen.
- An zwei Stellen »liest« sie dem Journalisten Texte vor, das heißt: sie fügt sie in den übrigen Text ein. Das ist eine clevere Art, um einzelne biografische Texte, die für sich stehen, in einen größeren Zusammenhang wiederzuverwenden.
- Als »öffentliche Frau« machte Pluhar auch schmerzhafte Erfahrungen mit der Öffentlichkeit. In der Form eines fiktiven Interviews hat sie die Möglichkeit, ihre eigenen Erzählungen zu kommentieren und natürlich auch die Fragen vorzugeben, auf die reagiert. Einige Aspekte der eigenen Bekanntheit diskutiert sie mit dem fiktiven Interviewer, ohne dass es zu ernsthaften Auseinandersetzungen käme.
Leider geraten die fiktiven Dialoge insgesamt zu harmlos und banal. Pluhar gelingt es nicht, den »Redakteur« zu einer lebendigen Figur zu machen. Während der Interviews wird viel geraucht, oft blickt die Hauptfigur, Erzählerin und Autorin des Buchs sinnend in den Garten. Doch ihr behaupteter Tiefsinn wird nicht eingelöst. Inhaltlich ist »Die öffentliche Frau« eher etwas für Fans.
Für alle, die nach einer Form für ihre autobiografischen Texte suchen, um sie in den größeren Zusammenhang eines Buchs zu bringen, kann die Lektüre jedoch wertvolle Anregungen bieten.
Erika Pluhar:
Die öffentliche Frau. Eine Rückschau.
Insel Verlag Berlin 2015,
ISBN 978-3-458-36054-4