Ein Ego-Dokument
Die Aufzeichnungen des Kieler Autors, die den Untertitel »Ein Tagebuch mit Bildern« tragen, eignen sich wunderbar als Beispiel für ein »Ego-Dokument«, also für einen im Vergleich zur Autobiografie oder zur ausgearbeiteten, thematisch orientierten Erinnerung eher »kleineren« autobiografischen Text, der sehr viele unterschiedliche Formen annehmen kann. In diesem Fall sind es tagebuchartige Aufzeichnungen, die jedoch auf die übliche Gliederung mit Datumsangaben verzichten. Doch der Anfang und das Ende der Aufzeichnungen sind mit »Ende März 2011« und »Pfingstmontag« klar bezeichnet.
»Weiter im Text« ist ein Neben-Werk Zaimoglus, das nicht einmal in der Wikipedia-Liste seiner Bücher auftaucht. Es besteht aus der Reproduktion von einseitig getippten und mit gelegentlichen handschriftlichen Korrekturen versehenen Schreibmaschinenseiten (Zaimoglu schreibt seine Bücher auf einer elektrischen Schreibmaschine, auf einem der Fotos von seinem Arbeitszimmer ist sie zu sehen). Dazwischen Zeichnungen des Autors, vor Porträts typisierter Zeitgenossen.
Die Prosa folgt den vor allem mit Lesungen, Arbeitstreffen, Bahnfahrten und Schreib-Perioden prall gefüllten Tagen, knapp und pointiert, umgangssprachlich-direkt, karikierend wie die Zeichnungen. Eine Kostprobe (mit Original-Zeilenumbruch):
Diabeteskongreß in Hamburg. Soll Vortrag halten.
Sieben Uhr früh, nicht wach. Steh im markierten
Feld, rauche. Frau raucht Pfeife. Auf dem Aufnäher
auf ihrer Bomberjacke steht: Lesbian by nature.
Rotes Garn. Sie sagt: Was glotzt du? Noch nie
ne Lesbe gesehen? Ich: Hab ich oft, es ist
wegen der Pfeife. Sie erzählt vom Pfeifenraucherglück.
(S. 19)
Wer solche Beschreibungen mag, sich interessiert für den (wenig glamourösen) Alltag eines professionellen Schriftstellers und harte Themen-Schnitte toleriert, findet vielleicht (wie ich) an dem Heft der Edition Eichthal Gefallen.

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Ehrlich, aber nicht unverschleiert
Bietet »Weiter im Text«, als Ego-Dokument, völlig unverstellte Einblicke in Zaimoglus Leben und Denken? Er selbst ist ehrlich genug, um uns als seine Leser vorzuwarnen:
Ist dies Tagebuch ein Lügenplakat?
Eine plakatierte Lüge?
Natürlich.
Nur Idioten sind durchlässig, nur Idioten sind Unverschleierte:
Affekte und Effekte brechen durch. Keine Hemmung und Zurückhaltung.
Ich gebe nicht alles preis, halte den Mindestsatz an
selbstbeschwerenden
selbstgewichtenden Erlebnissen zurück. Sonst wäre ich Luft,
zerstäubter Duft. Ich will, wenn ich allein bin, mich riechen
können. Doch alles Niedergeschriebene auf diesen Seiten ist
wahr. Und doch zu wenig.
(S. 71)