Das Kompendium »Schreiben über mich selbst« ist Teil der von Ortheil selbst herausgegebenen Reihe »Kreatives Schreiben« im Dudenverlag (2014, ISBN 978-3-411-75437-3, 14,95 €). Die »Spielformen autobiografischen Schreibens« (so der Untertitel), die es vorstellt, sind jeweils von bestimmten Werken und Beispielen abgeleitet, was die Lektüre kurzweilig und spannend macht und — wie so oft, wenn es ums Schreiben geht — auch vom Hundertsten ins Tausendste führt.
Ausgehend von mündlichen Formen des Auskunftgebens und Dokumentierens, über die schriftlichen Ego-Dokumente, Selbstporträts und die Behandlung einzelner Lebensabschnitte, löst sich Ortheil von den allzu einfachen Einteilungen des Autobiografischen, mit denen wir es sonst meist zu tun haben. Im Abschnitt »Nach vorn und zurück blicken« geht es zum Beispiel nicht einfach ums Tagebuch-Schreiben, sondern um eine bestimmte Form von resümierenden Einträgen. Ortheil, der sein eigenes Leben in mannigfaltiger Weise dokumentiert und literarisch verarbeitet, eröffnet uns eine reich schattierte Farbenpalette des Autobiografischen, und zeigt zugleich: Patentrezepte gibt es nicht.
So erleichternd und anregend die Lektüre deshalb wird, so abschreckend wirken leider manche der »Text- und Schreibaufgaben«, die jedes der 25 Kapitel abschließen. Oft schlägt Ortheil vor allem vor, es den jeweils vorgestellten Autoren nachzutun, z.B. wo es um die Erkundung der eigenen Kindheit geht:
Konzentrieren Sie sich auf kurze Kindheitssequenzen in der Sartre’schen Manier. Erzählen Sie, wann und wo Sie einmal unbedingt Mittelpunkt einer Gesellschaft waren oder sein wollten, wie Sie den Erwachsenen und sich selbst etwas vormachten, wie Sie manchmal Triumphgefühle der Überlegenheit empfanden, […] (S. 102)
Solche Vorbild-Übungen sind sicherlich sehr hilfreich, können aber auch weniger passen und stellen in der Summe wohl für die meisten autobiografisch Schreibenden eine Überforderung dar:
— Konzipieren Sie einen literarischen Blog, in dem Sie von Ihren Lektüren erläuternd und kommentierend in regelmäßiger Folge berichten.
— Dokumentieren Sie Ihre Neuanschaffungen von Büchern und ordnen Sie diese Neuanschaffungen älteren Titeln zu.
— Erstellen Sie nach und nach […] (S. 90)
Statt der Rezension eines Lieblingsbuchs schlägt Ortheil also gleich einen ganzen Literaturblog vor. An dieser und anderen Stelle wünschte man sich, dass er etwas mehr die Technik der didaktischen Reduktion verwendet hätte, um aus dem Ganzen etwas Kleineres und doch Lehrreiches zu destillieren.
Auch in seiner »Nachbetrachtung« legt der Gründungsprofessor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim weniger Wert auf Reduktion. Für ihn geht es beim biografischen Schreiben ums Ganze:
Autobiografisches Schreiben kostet Zeit, und genau das ist ein Problem. Wer nicht kontinuierlich und regelmäßig schreibt, kann es gleich bleiben lassen. Denn autobiografische Texte sterben ab und trocknen aus, wenn sie nicht unablässig ergänzt und weiterführt werden. (S. 146)
[…]
Wer ohne fixierte Erinnerungen lebt, formt und gestaltet sein Leben nicht.
Das »Schreiben über mich selbst« ist daher nicht nur eine beliebige, literarische Praxis unter vielen anderen, sondern Teil einer umfassenden »Lebenskunst«. [… dabei] geht es […] darum, die eigene Existenz zu beobachten, zu reflektieren und zu durchdringen.(S. 147)
Die Idee, das Schreiben sei Lebenskunst, indem es die eigene Identität stärkt und schärft, beflügelt den »Schreibfanatiker« Ortheil. Sie erklärt in gewisser Weise die Faszination, die im biografischen Schreiben liegt. Doch gerade, weil sie so groß ist, diese Idee, lohnt es sich, den Lernwilligen auch in kleineren Schritten an sie heranzuführen.