In diesem Grundlagen-Artikel erkläre ich wichtige Grundbegriffe, stelle einige klassische Beispiele vor und gebe drei wichtige Tipps, um dir den Einstieg ins Schreiben von Lebenserinnerungen zu erleichtern.
Klärung einiger Begriffe
- Eine Biographie/Biografie (beide Schreibweisen sind korrekt) ist die Beschreibung (griechisch:grapho) eines Lebens (bios). Um welche Art von Leben es sich handelt, und wie es beschrieben wird, ist dabei zunächst völlig offen.
- Wenn du dein eigenes Leben beschreibst, wird die Biografie zur Auto– Biografie, zur Selbst-Lebens-Beschreibung.
Streng genommen müsste ich auf biografika also stets vom autobiografischen Schreiben sprechen, wenn es darum geht, schreibend das eigene Leben zu erzählen. Doch meistens wird aus dem Zusammenhang klar, was gemeint ist, und man kann sich die etwas umständliche Vorsilbe sparen. - Wenn du ein Buch in der Hand hältst, auf dem »Autobiografie« steht, kannst du damit rechnen, dass der Autor einen Großteil seines Lebens beschreibt. Von der Kindheit bis zum reifen Erwachsenenalter.
- Sind auf dem Umschlag Erinnerungen oder Lebenserinnerungen angekündigt, kann es sich auch nur um einen Teil oder Teilaspekt des Lebens handeln. Vielleicht beschreibt die Autorin einen bestimmten Zeitabschnitt oder sie konzentriert sich auf ein Thema, zum Beispiel darauf, wie sie einen Schicksalsschlag überwand. Aus der englischsprachigen Tradition stammt dafür der Begriff des Memoir (im Singular).
- Eine Autobiografie tritt mit dem Anspruch an, das Wesentliche des eigenen Lebens zu umfassen. Ihre Leitfrage lautet: Wie bin ich zu dem geworden, der ich heute bin? Erinnerungen sind in dieser Hinsicht bescheidener – und darum variabler in der Form. Memoirs haben einen klaren thematischen Fokus, weshalb sie auch für Leser interessant sind, die den jeweiligen Autor oder die Autorin nicht schon kennen.

- Von Memoiren (im Plural) spricht man, wenn es sich um den Lebensbericht einer öffentlichen Person handelt, vor allem die eines Politikers.
Die Leitfrage von Memoiren lautet: Wie habe ich gehandelt und warum? Bei Memoiren geht es weniger um die Person als solche, als um ihre Position im öffentlichen Raum. Darum spiel die Kindheit in Memoiren meist eine untergeordnete Rolle, während Sie in einer Autobiografie beinahe nie fehlt. Denn sie prägt entscheidend die eigene Entwicklung.
Erzählperspektive
In den allermeisten Fällen beschreiben autobiografische Autoren ihr Leben aus der Ich-Perspektive (der grammatisch ersten Person).
Wie stets, wenn es um Sprache und Literatur geht, gibt es auch hier Ausnahmen, zum Beispiel:
- Karl Philipp Moritz’ Autobiografie »Anton Reiser« (1785-1790), die er allerdings als »psychologischen Roman«bezeichnete.
- Salman Rushdies Autobiografie »Joseph Anton« von 2014 (und sicherlich noch einige mehr).
Was möchtest du?
Ein ganzes Leben kann nie beschrieben werden. Es geht immer um eine Auswahl.
Beim autobiografischen Schreiben stellt sich gleich zu Beginn die Frage: »Was wähle ich aus?«
Möchtest du deine komplette Autobiografie schreiben, oder einzelne Erinnerungen festhalten? Worin liegt das Verbindende dieser Erinnerungen?(Am besten, du schreibst deine Gedanken dazu gleich einmal in dein Notizheft.)

Beispiele
In den nächsten Abschnitten diskutiere ich einige Beispiele autobiografi- scher Werke, um die Begriffe im Gebrauch zu verdeutlichen.
(Wenn alles schon klar ist, kannst du ruhig weiterblättern.)
Goethes »Dichtung und Wahrheit«

In Goethes Erinnerungsbuch geht es um die menschliche und künstlerische Entwicklung von Deutschlands wichtigstem Zitatengeber.
Auch wenn er nicht fertig wird – er kommt nur bis ins Jahr 1775, bis zu seinem Engagement in Weimar mit 26 Jahren –, ist »Dichtung und Wahrheit« dem Anspruch nach eine Autobiografie – und zugleich sind es Memoiren, denn Goethe war berühmt, als er sie verfasste. Auch ist viel von Zeitgeschichte und Zeitgenossen die Rede.
Wunderschön ist nicht nur der Anfang, in dem er den Sternenhimmel während seiner Geburt beschwört:
Hier kannst du weiterlesen: https://www.projekt-gutenberg.org/goethe/dichwah1/chap002.html
Adenauers “Erinnerungen”

Konrad Adenauers »Erinnerungen« setzen mit dem Jahr 1945 ein. Auf der Internetseite der Konrad Adenauer Stiftung erläutert Hanns Jürgen Küsters:
Dieses Motive ist einschlägig für Memoiren. Von der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, wie sie im Zentrum einer Autobiografie steht, ist nicht die Rede. Die »Gründe« um die es geht, sind sachliche Gründe, keine biografischen.
Kaschnitz: “Orte”
Die autobiografischen »Aufzeichnungen« (so der Untertitel) der Schrift- stellerin Marie Luise Kaschnitz bestehen aus einer losen Reihung von Erinnerungen. Als Leitmotiv und verbindendes Element dienten ihr die Orte ihres Lebens.

Der Raum ersetzte die Zeit und damit die sonst übliche Chronologie. So entstand keine Autobiografie, aber dennoch ein sehr persönliches und atmosphärisches Buch.
Hier die Anfänge dreier hintereinander liegender Abschnitte:
Warum Lebenserinnerungen aufschreiben?
- Du kannst das Verständnis deines eigenen Lebens vertiefen: Bei deinen Lesern ebenso wie bei dir selbst. (Siehe dazu auch meinen Artikel “Die Kraft des biografischen Schreibens”)
- Du kannst den Schatz deiner Erinnerungen bewahren.
(Die Welt ändert sich heute so schnell wie noch nie. Deine Enkel und Urenkel werden kaum mehr eine Vorstellung davon haben, wie du deine Kindheit verbracht hast.) - Du kannst Erfahrungen und Einsichten weitergeben. (Zum Beispiel in einem Unternehmen.)
- Du kannst Anknüpfungspunkte bieten.
(Du förderst die Identität und die Tradition in einer weitverstreuten Familie.)
Was ist dein wichtigster Grund?
Am besten, du schreibst ihn gleich in dein Notizheft. Das wird vielleicht schon ein Entwurf für dein späteres Vorwort.
Drei wichtige Tipps für Schreibanfänger
Tipp #1: Schreibe, als ob du erzählen würdest.
Gerade, wenn du einen Beruf gelernt hast, der mit Texten zu tun hat, ist es wichtig, die alten Schreibgewohnheiten loszulassen.
Stell dir ein wohlwollendes und interessiertes Gegenüber vor. Real oder ausgedacht:
- ein Enkelkind, das dir zuhört oder
- ein Freund, den du schon lange nicht mehr gesehen hast.
Vermeide Gedanken an
- einen Literaturkritiker oder
- deinen alten Deutschlehrer!
(Sonst denkst du nur an Rechtschreibung oder Auflagen und nicht
daran, was dir wichtig ist zu erzählen.)
Tipp #2: Rege dein Gedächtnis an.
- Hole alte Unterlagen hervor
- oder »Souvenirs« aller Art,
- lies Lebenserinnerungen aus deiner Generation,
- reise, wenn möglich, an Orte aus deinem Leben (und vergiss dabei nicht dein Notizbuch),
- sieh dir Fotoalben an (und merke dir die Bilder, die du unbedingt in dein Buch bringen möchtest) oder
- triff dich mit lieben Menschen, erzähle Geschichten und schreiben sie danach so auf, wie du sie erzählt hast.
All das ist einfach und macht Spaß!
Tipp #3: Gehe nicht (zu) systematisch vor.
Dieser Rat mag verblüffen. Doch am Anfang ist alles falsch, was deinen Schreibfluss ins Stocken bringt. Deshalb:
- Fange mit einem Einfall an, einer Episode deines Lebens.
- Schreibe eine Geschichte, die sich um diese Episode dreht, wie du zum Beispiel einen wichtigen Menschen kennenlerntest.
- Vielleicht passen zwei Geschichten zusammen und bilden einen Ab- schnitt.
- Erst wenn du zehn oder mehr solcher Geschichten geschrieben hast, solltest du dir über ihre Anordnung Gedanken machen und eine Gliederung entwerfen.
- Schreibe bei neuen Einfällen zunächst unabhängig von der Gliederung weiter.
- Überarbeite die Gliederung.
- Wiederhole 5 und 6 nach Bedarf.
Im Schreiben (nicht nur von Lebenserinnerungen) gehst du einerseits spontanen Einfällen nach, andererseits ordnest du das entstandene Material. Das eine kommt nicht ohne das andere aus.
Wenn du zu systematisch vorgehst und eine starre Gliederung der Reihe nach ausfüllen möchten, kann das Schreiben zu einer Last werden – und der Schreibfluss versiegt.
Zusatztipp: Hole dir praktische Hilfe …
… wo dir die Zeit, die Lust oder die Kräfte fehlen!
- Was nützt es, wenn du dich an der Bedienung eines Computerprogramms abarbeitest – wenn es doch eigentlich ums Schreiben geht?
- Ohne Lektor/in kommen auch professionelle Schriftsteller nicht aus.
- Ermutigung und Interesse tun jedem gut. In Schreibgruppen oder in der Familie.
Das Schreiben der eigenen Lebenserinnerungen braucht Zeit und Energie. Wenn du dich überforderst, verlierst du die Freude daran – und dein Schreibfluss versiegt.