Peter Kolar wurde 1950 in Hofheim am Taunus geboren. Vier Jahre zuvor waren seine Eltern und älteren Brüder aus Krummau an der Moldau (Český Krumlov) vertrieben worden. Er lernte Speditionskaufmann, arbeitete in der Industrie und 15 Jahre lang im Bürgerbüro der Stadt Hofheim. In der Hofheimer Zeitung, für die er als freier Mitarbeiter unterwegs ist, veröffentlichte er Artikelserien über die Geschichte seiner Familie. Derzeit arbeitet er an einer Buchfassung.
An einem meiner Workshop-Tage schrieb Peter Kolar unter dem Titel »Erinnerung« über die Motive, die ihn als Autor antreiben.
Es hilft, Erlebnisse und Gefühle schriftlich festzuhalten
Stefan Kappner: Peter, in welcher Lebensphase kamst Du zum Schreiben?
Peter Kolar: Geschrieben habe ich schon immer gerne. Meine Aufsätze in der Schule wurden besser bewertet als die Diktate. Aber ganz intensiv habe ich mit dem Schreiben erst in einer Lebenskrise begonnen. Ein chronisches Schmerzsyndrom brach über mich herein, verbunden mit Depressionen. Ich war mehrmals in einer psychosomatischen Fachklinik, in Bad Wildungen und in Scheidegg im Allgäu. Dort habe ich festgestellt, dass es mir hilft, Erlebnisse und Gefühle aus meinem Leben schriftlich festzuhalten. Briefe an das innere Kind oder Reflexionen meines Gefühlslebens haben mir Klarheit gebracht. Gleichzeitig begann ich, mich für die schriftlichen Lebensaufzeichnungen meines Vaters zu interessieren. Er war schon 1989 gestorben, aber ich getraute mich lange Zeit nicht, sie richtig zu lesen. Erst jetzt begann ich, die handschriftlichen Aufzeichnungen in den Computer zu tippen.
Als ich später in den Vorruhestand ging, kam ich durch Zufall zur Hofheimer Zeitung. Für unsere Kolpingsfamilie hatte ich einen Artikel an die Redaktion gegeben. Da meinte die Redakteurin Kirsten Weber, ob ich nicht freier Mitarbeiter werden möchte. Das bin ich nun schon seit Anfang 2013. Zum Teil schreibe ich auch für den Main-Taunus-Kurier, weil er zur gleichen Verlagsgruppe gehört. In der Hofheimer Zeitung veröffentlichte ich drei Familienserien unter den Titeln »Als der Böhmerwald zum Taunus kam«, »Was Böhmerwald und Taunus verbindet« und »Krummau-Patras-Hofheim«. Die beiden ersten Serien enthalten auch Erzählungen eines Ur-Hofheimers, der die Sicht der Einheimischen auf die damaligen Ereignisse darstellt.
Stefan Kappner: Du hast auch Lesungen abgehalten. Welche Erfahrungen hast du damit gemacht?
Peter Kolar: Ja, auf Grund dieser Zeitungsartikel wurde ich von der Stadtbücherei Hofheim zu drei Lesungen eingeladen.
Ich war jedes Mal überrascht, wie viele Menschen Interesse an meiner Familiengeschichte zeigten.
Das hat mich dann dazu inspiriert, ein Buch in Angriff zu nehmen.
Lieber Peter, vielen Dank, dass du es erlaubst, deinen Text »Erinnerung« hier zu veröffentlichen.

Peter Kolar: Erinnerung
Ich bin mal wieder im schönen Hofheimer Exerzitienhaus gelandet. Stefan Kappner hat zu einem Schreibtag eingeladen und ich bin froh, dass ich mir diesen Samstag dafür frei halten konnte. Bei der Eröffnungsrunde mit neun Teilnehmerinnen und Teilnehmern habe ich auf meinen roten Zettel »Erinnerung« als eine Art Motivationswort für diesen Tag aufgeschrieben. Irgendwie kam mir dieser Begriff sofort in den Sinn. Jetzt frage ich mich, was hinter diesem Wort für mich steckt, was mir Erinnerung bedeutet.
Ich erinnere mich gerne an frühere Ereignisse, auch an die weniger fröhlichen, oder gar traurigen und unangenehmen Vorkommnisse.
Schließlich gehört alles zu meinem Leben dazu.
Außerdem schreibe ich gerne und habe schon so manche Episoden aus meiner Vergangenheit aufgeschrieben. Das macht mir zum einen Spaß, zum anderen hilft es mir, mich selbst besser zu verstehen. Und wenn ich einmal nicht mehr auf dieser Erde wandeln werde, hilft es vielleicht meinen Hinterbliebenen, besser einzuschätzen, was für ein Mensch ich gewesen war.
Mein Arbeitszimmer ist gefüllt mit allen möglichen Erinnerungsstücken und Massen von Ordnern mit Fotos und Dokumenten.
Es ist mir ein wichtiges Anliegen, mein Leben und die Lebensgeschichte meiner Familie und Vorfahren zu dokumentieren und aufzuschreiben. Auslöser waren wohl die schriftlichen Aufzeichnungen meines Vaters und die ungezählten Gespräche mit meiner Mutter, die fast 100 Jahre alt wurde. Mit ein Grund für meine Erinnerungskultur ist sicher auch meine langjährige, chronische Krankheitsgeschichte. Es tut mir einfach gut, Vergangenes aufzuschreiben und so für mich zu reflektieren. Wer bin ich, wie bin ich, was bin ich und warum sehe ich ein Ereignis ausgerechnet so, und nicht aus einer anderen Warte? Manchmal verstricke ich mich auch in meine Gedankengänge. Dann muss ich mich selbst zur Ordnung rufen, Schluss machen, und irgendwann neu beginnen.
Oft frage ich mich auch: »Besitzt du einfach nicht die Fähigkeit, etwas loslassen zu können? Warum kannst du nicht Vergangenes einfach vergangen sein lassen? Schau doch nach vorne, und nicht immer wieder nur zurück!« Natürlich ist das in vielen Situationen auch besser. Es lebt sich einfacher und leichter, wenn man so manchen Ballast rigoros hinter sich lässt, und manchmal gelingt mir das auch. Aber vieles will ich nicht verloren gehen lassen. Auch wenn mich die Aufarbeitung meiner Familiengeschichte oft in emotionale Grenzregionen geführt hat, ich fühle mich quasi meinen Vorfahren gegenüber verpflichtet, ihr Schicksal nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Ich nenne das gerne »seelische Schwerstarbeit«, aber die muss ich wohl in Kauf nehmen.
Ich kann mich bei dem Wort „Erinnerung“ natürlich auch kritisch hinterfragen: »Nehme ich mich selbst zu wichtig? Will ich mir selbst ein Denkmal setzen, um so vielleicht etwas länger in den Köpfen der Menschen präsent zu sein?« Ich kann mich nicht von einer gewissen Eitelkeit frei sprechen, und wie jeder Mensch werde ich gerne geliebt und gelobt. Aber eines weiß ich von mir ganz genau: Ich habe noch nie an einem übersteigerten Selbstwertgefühl oder Selbstbewusstsein gelitten. Solche Menschen gibt es leider schon mehr als genug. Wenn mir solch ein Exemplar auf der Bühne meines Lebens zu nahe kommt, überlasse ich ihm gerne die Hauptrolle und ziehe mich vornehm zurück in der Hoffnung, keine seelischen Blessuren zurückzubehalten. Ich bin nun mal ein empfindliches Seelchen, muss ich selbstkritisch zu mir sagen. Und das, nachdem ich mir nun schon so vieles von der Seele geschrieben habe.
Jetzt bin ich in dieser kleinen Abhandlung vom Hundertsten ins Tausendste gekommen. So ist das nun mal, wenn man sein Innerstes durch die Finger und den Kugelschreiber aufs Papier zaubert. Mein eigenes Resümee zum Schluss lautet deshalb:
»Erinnern ist mir wichtig, aber ich muss darauf achten, dabei nicht die Kontrolle über mich und mein Jetzt und Heute zu verlieren!«
Und ich schließe mich gerne dem Motto unseres lieben Kursleiters Dr. Stefan Kappner an: »Wir leben von Brot und Erinnerungen!«